Vom Reisen der Gedanken
"Wunder der Prärie" von Zeitraum-Exit verspricht Exotisches aus vielen Kunstsparten
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Von unserem Redaktionsmitglied Barbara Foerster
Das Plakat verspricht schon viel: Aus einem riesigen Schiffscontainer-Stapel ragt der Glockenturm von Mannheims Jesuitenkirche und schielen zwei Häuser in trister Quadrate-Architektur hervor. Wer mit dem ICE von Stuttgart in den Norden durch Mannheim hindurch reist, kennt diese charmante Hafenansicht der Industriestadt. Über ihr steht im Stil alter Western der Schriftzug "Wunder der Prärie". Ist es eine Liebeserklärung an Mannheim als Perle im Rhein-Neckar-Tal oder ein höchst selbstbewusster Anspruch, den Zeitraum-Exit (Gabriele Oßwald, Wolfgang Sautermeister, Tilo Schwarz, Elke Schmid) hier seinem gleichnamigen Festival zuspricht? Wohl beides.
Der Leiter der Alten Feuerwache und Mitveranstalter Egbert Rühl jedenfalls betonte auf der gestrigen Pressekonferenz, dass es dieser Veranstaltung gelinge, endlich anspruchsvolle aktuelle Kunst nach Mannheim zu holen. Hochgegriffen? Seit sechs Jahren findet das spartenübergreifende Kunstevent in der Quadratestadt statt, seit letztem Jahr unter dem lockenden Titel "Wunder der Prärie". Und das diesjährige Programm mit dem Thema "Reisen" scheint vielversprechend: Künstler aus Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz befassen sich in Ausstellungen, Performances, Theaterstücken und Videos mit dem touristischen, gedanklichen und politischen (unfreiwilligen) Reisen.
Ein Höhepunkt ist sicherlich ein Projekt, das vom Theater der Welt in Stuttgart nach Mannheim geholt wurde. Die britische Gruppe Stan's Café bietet in ihrer interaktiven Theater-Installation "Of All the People in All the World (Germany)" eine Art künstlerisch-statistische Bürgererhebung Deutschlands. Jedem Menschen wird ein Reiskorn zugeordnet. Je nach Fragestellung - zum Beispiel "Wieviel Wohnsitzlose gibt es in Mannheim?" -, wird die entsprechende Anzahl von Körnern angehäuft. Vier Tage lang arbeiten Craig Stephens, Heather Burton und Jake Oldershaw bis zum Wahltag am 18. September an dieser "Veranschaulichung von Hochrechnungen" ganz anderer Art. Fragen-Vorschläge sind willkommen.
Am 14. September wird das Festival, das seinen Etat von 100 000 Euro aus Zuschüssen von BASF, MVV, Kulturamt, Interdrink, der Alten Feuerwache und von einer Stiftung incognito speist, eröffnet - mit der musikalischen Interpretation einer weiblichen Odyssee von Tine Louise Kortermand. René Arnold zeigt parallel sein Video "Vater im Himmel" über die letzte Reise eines Menschen ins Schwerelose. Jochen Schambeck aus Karlsruhe verblüfft die Passanten am Paradeplatz mit skurrilen Plakaten, die Reisen als Synonym für Freiheit hinterfragen.
Wie in den letzten Jahren werden die Passanten am Hauptbahnhof auch dieses Mal wieder mit einer "Wunder der Prärie"-Performance empfangen: Eric Henzler fotografiert Interessierte mittels Blue-Screen-Technik vor Motiven des Kultur-Tourismus wie dem Louvre. Und der Berliner Volker Gerling zieht mit seinem Bauchladen-Daumenkinographen durch die Straßen von Mannheim. Seine "bewegten" Bilder bestehen aus Fotos über Begegnungen auf seiner Wanderschaft. Am Abschlusswochenende, 22. bis 24. September, entführt die französische Künstlergruppe Théâtre du Radeau in ihr poetisches Architekturtheater im Trafowerk in Käfertal.