Parforceritt durch die Szene
Schauspiel/Performance: Das Festival „97m überm Meer“ führt Theaterschaffende aus der Region zusammen
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Von unserem Mitarbeiter Dennis Baranski
Über die topographische Beschaffenheit der regionalen Kulturlandschaft lässt sich streiten, muss doch jedweder Versuch, die freie Theaterszene in Güteklassen einzuteilen, bei der gebotenen Vielfalt zwangsläufig in einem Vergleich von Äpfeln und Birnen enden. Das Theater in G 7 (TiG7) und das Künstlerhaus Zeitraumexit begreifen diesen Umstand als Chance und luden erneut zum nichtkuratierten Stelldichein auf Augenhöhe – in Mannheim sind das 97 Meter über Normalnull. Zum dritten Mal in Folge versprach das Kurzfestival „97m überm Meer“ einen Parforceritt durch Szene und Genres, von Tanz über Schauspiel bis hin zur Performance-Kunst.
Den Auftakt bestritt das Augenblick Theater des Jugendkulturzentrums Forum im TiG7. Mit introvertierter Spielfreude übte sich das Ensemble aus behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen im Miteinander bei Abwesenheit von Gefühlen und Empathievermögen. Ebenso unterhaltsam wie subtil warb „Kalte Herzen“ ganz ohne erhobenen Zeigefinger für mehr Verständnis im gegenseitigen Umgang. Über einen Mangel an Sinnesreizen konnte sich die Theatergruppe um Carlos Franke indes kaum beklagen. Ihre „Intersubjektive Erkenntnis in Pastell“ näherte sich Wittgenstein und der Beziehung von Worten zu Empfindungen mit einer denkbar anschaulichen Versuchsanordnung: Folternd suchten sie nach verbalen Ausdrucksformen für Schmerz – ein gelungenes Experiment.
Der traumatisierte Kriegsheimkehrer aus Wolfgang Borcherts „Küchenuhr“ vermag seine Gefühle hingegen ganz und gar nicht in Worte zu fassen. Unter der Regie von Stefan Grießhaber gab Bernhard Wadle-Rohe den von Widersprüchen geprägten Charakter gewohnt skurril und mit viel Herz, bevor das Publikum in das Künstlerhaus von Zeitraumexit im Jungbusch und damit in den zweiten Programmteil entlassen wurde. Dort arbeitete das Nostos Tanztheater mit „Love Unlimited“ in mechanischen Bewegungsabläufen eine Karrieristin (Crystal Schüttler) heraus, die ihren Körper als Machtinstrument missbraucht, was dieser prompt mit Dysfunktion quittiert, während Einhart Klucke und Martin Kornmeier eine andere Kehrseite starker Frauen kennenlernten. Sie sind entlassen, verletzt in ihrem männlichen Stolz und entschlossen, die Karosse ihrer Chefin „Im toten Winkel“ eines Parkhauses zu demolieren. Den Höhepunkt markierte einmal mehr verlässlich das Theater- und Performancekollektiv Rampig aus Heidelberg.
Mit unvergleichlicher Hingabe brach das elfköpfige Ensemble grandios Shakespeares sinnsuchende Hamlet-Figur in einem kleinteiligen Bildermeer zwischen anmutiger Reinheit und verstörender Provokation auf, bevor die Mannheimerin Silvia Szabó das kompakte Theaterfest mit ihrem Soloauftritt „Insomnia“ abschloss.
Nach sieben Produktionen und eben so vielen Herangehensweisen ist der Beweis unstrittig erbracht: 97 Meter über dem Meer pulsiert eine lebendige Theaterszene.