Prognosen, Prozente, Parteien
Jedes Reiskorn zählt: Performance zur Bundestagswahl in Mannheim
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Von Carmen Bürk
Gerhard Schröder und Angela Merkel zeigen keinerlei Regung. Kein Lächeln, keine Gesten. Auf einem fast unbeschriebenen, weißen Blatt Papier liegen sie einfach da, klein, rundlich, weiß, hart, roh und: fast vereint. Was sie an diesem Wahlabend voneinander unterscheiden könnte, sind die Häufchen Reis, die sich zu ihrem Gunsten auftürmen werden. Spannender und aktueller kann Kunst nicht sein.
Jeder Mensch ein Reiskorn, das ist die Idee der britischen Theatergruppe Stan’s Café. Im Rahmen des internationalen Kunstfestivals „Wunder der Prärie“ hat die Truppe in der Alten Feuerwache in Mannheim ihre interaktive Theaterinstallation mit dem Titel „Of All the People in All the World (Germany)“ auf Deutschland geeicht. Auf ihrer Theke stehen statt Kaffee und Kuchen Waagen und Computer, im Hintergrund eine Weltkugel. Mit Reiskörnern zeichnen sie ein soziokulturelles Bild von der Welt, der Bundesrepublik, der Stadt Mannheim. Statistiken, die unter die Haut gehen. Anschaulich wird dargestellt, dass heute genauso viele Menschen in Niger hungern wie zu McDonalds gehen. Gottschalks Sendung wollen mehr sehen als den Papst. Krebstot, Heroinabhängige, Flüchtlinge, Wohnsitzlose durch den Hurrikan Katrina – lauter elende Häufchen und Haufen Reis.
Beklemmend ist es auch nach den ersten Hochrechnungen unter den Besuchern. Kein Aufschrei, kein Jubel. Auf einer Videowand wird die ARD übertragen, ohne Ton. Die vier Performer zählen und wiegen: 82,5 Millionen Rieskörner, 1560 Kilo Reis, und jedes Korn anders. Dann koaliert mal schön.