Regenwürmer im Luftballon

Performance: Drei „Solo“-Szenen mit Anja Ibsch

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Mannheimer Morgen

Während sie die Regenwürmer an ihren Körper legt, isst sie schwarze Gartenerde. Sie zieht einen Strumpf über das Gesicht und schiebt würgend einen Wulst Erde aus dem Mund. Zuletzt landen die Würmer in weißen Luftballons. Die werden aufgeblasen und zu Boden geworfen. „Kontakt“ nennt Anja Ibsch aus Berlin ihre Aktion für den Performance-Abend „Solo“ im Mannheimer Künstlerhaus zeitraum_ex!t. Es folgen zwei weitere Szenen: Wolfgang Sautermeisters Selbsterniedrigung und Gabriele Oßwalds Tanz mit zwei toten Fischen – als Symbole für Mutter und Tochter, die sich nichts zu sagen haben?

Welche Deutungen die Zuschauer finden, ist zweitrangig. Denn vermutlich kommt jeder Betrachter zu einem eigenen Ergebnis, das von Seelenlage, Ekel- oder Schamgrenze abhängt. Es bricht eine Flut von Gedankenverbindungen über ihn herein. Wichtig ist: Das Denk-Material provoziert Fragen. Es zwingt zur Auseinandersetzung, nicht nur mit den überrumpelnden Bildern dreier Menschen, die ihr Inneres nach außen kehren, sondern auch mit den Erwartungen und Gefühlen, die aufsteigen, etwa wenn Anja Ibsch ihre Würmer ganz nah zum Mund führt. Oder während Sautermeister nackt an den gegenübersitzenden Zuschauern entlang kriecht und zitternd Würfelzucker aufstapelt. Auf einer Tafel steht: „Wenn Du dich retten willst, riskiere deine Haut“. Vielleicht liegt der Schlüssel zum Verständnis in der Musikauswahl.

Sautermeister pendelt zwischen dem Schallplattenspieler, auf dem die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss erklingen und einem Fächer aus Schallplattenhüllen; auf der obersten steht der Name Stevie Wonder. Die angestrebte „Rettung“ könnte also darin bestehen, sich von der wohl auch als Kitsch empfundenen Kunst des Gestern zu lösen und für das Heute, das politische Engagement zu entscheiden. Gabriele Oßwalds Monolog „Für meine Mutter“ erleichtert den Zugang durch eine Fotografie, durch gesprochenen Text und den Zarah-Leander-Schlager „Davon geht die Welt nicht unter“.
ML

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