Eine Frau und viele Rollen
Elke Schmids "Andere" beim Mannheimer Performance-Theater "EX!T"
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Eine Frau, eine Nähmaschine und ein Regal mit Kleidungsstücken: Mützen, Brillen, Schals, Perücken, Schuhen. Knapper Sportdress und breites Stirnband lassen die Frau nüchtern und kühl aussehen wie ein neutrales Wesen. Sie tritt an das Regal, überlegt eine Weile, nimmt ein Kleidungsstück heraus, streift es über, sucht dazu passende Schuhe – und schon ist sie eine scharf konturierte Person. Das Kleid macht die Frau; zwingt sie oder ermöglicht ihr etwas zu sein, das vielleicht ihr nach außen gekehrtes Inneres oder auch nur eine Fassade ist.
Mal ist es eine Naive im Hängerchen, die mit erstaunt aufgerissenen Augen unter Haarfransen hervorblickt, ein andermal eine verhuschte Hausfrau, ein sexy Glamour-Girl, eine rotzige Göre, eine kokette Strandnixe, eine graue Maus. So zahllos wie die Kleidungsstücke sind die weiblichen Identitäten. Nach jeder Rolle zieht die Frau das Kleidungsstück aus und näht es mit der Maschine an das Patchwork der vorangegangenen Kleidungsstücke an, so dass nach und nach ein bizarrer Flickenteppich entsteht. Wird er zu einem tragbaren Kleid zusammenwachsen?
„Andere", die neue Produktion des Mannheimer Performance-Theaters „Exit", umkreist die Frage nach weiblicher Identität. Die Regisseurin Elke Schmid verfolgt eine eigene Art von Avantgardetheater. Als Gesamtform bewegt es sich an der Grenze zur Performance, wozu auch das Licht-, Raum- und Kostümdesign von Tilo Schwarz wesentlich beiträgt. Im Detail ist es so ausgefeilt, dass es in der Regel nur von ausgewiesenen Schauspielern interpretiert werden kann, am besten von einer so kongenialen Schauspielerin wie es Kathrin Höhne in „Andere" ist.
Die Spielweise ist zu Ritualen verknappt, ein zerdehntes Spieltempo lässt dem Zuschauer genügend Zeit, Einzelheiten aufzunehmen und das einem Filmstill nicht unähnliche Bild, in dem die Schauspielerin posiert, in seiner Vorstellung zu ergänzen. Körper und Gesicht macht Kathrin Höhne zu Instrumenten minutiöser Darstellung von Befindlichkeit, und wie bei einer Tänzerin liegt in der Langsamkeit die wahre Meisterschaft.
Sie agiert nicht, sie wechselt ruhig von Pose zu Pose. Jede ist eine präzise, oft skurrile oder eigenwillige Miniatur von hoher Wiedererkennbarkeit. Einstudiert sind dabei nur die Spielweise und das Gerüst, dem existenzielle Texte den notwendigen Halt geben. Die Kleidungsstücke wählt die Schauspielerin spontan, was in dem Regal liegt, hat sie vorher nicht gesehen. Das fertige Patchwork wird deshalb auch nicht aufgetrennt und wieder verwendet, sondern nach der Vorstellung vernichtet.
Heike Marx