Auf den Höhen der oberrheinischen Tiefebene

KUNST: "Zeitraum-exit" eröffnet in Mannheim internationales Festival "Wunder der Prärie"

Zeitung

Mannheimer Morgen

Von unserem Mitarbeiter Ralf-Carl Langhals

Bereits der Einstieg ist ungewöhnlich: Bei Performancekunst, Videoinstallation und interaktiven Theaterprojekten denkt man wohl zuletzt an Karl May. Und dennoch eröffnet Wolfgang Sautermeister mit einigen nur vermeintlich sinnschwangeren Zeilen aus dessen "In den Schluchten des Balkan" das umtriebige wie internationale Mannheimer Festival, das sich auf vielfältige Weise im Büro für Kunst in der Langen Rötterstraße, der Alten Feuerwache aber auch an öffentlichen Orten wie Paradeplatz, Fußgängerzone oder Hauptbahnhof dem Themenkreis "Reisen" widmet.

Karl May hat seine exotischen Handlungsorte zwar nie gesehen, aber dennoch intensiv erlebt: Freiwilliges und unfreiwilliges Reisen von Tourismus und Selbsterfahrung bis Flucht und Vertreibung beinhaltet auch Phantasiereisen und Gedankenflucht, also weit mehr als eine physische Verlagerung von einem Ort zum anderen.

Zum zweiten Mal ereignen sich nun mitten in der frisch gekürten Metropolregion "Wunder der Prärie"; ein Titel, der in Anwesenheit von Vertretern der Politik, Stadträte Nikitopoulos und Beisel sowie MdB Lothar Mark, der Sponsoren BASF, MVV und anderen auch Schirmherr und Kulturbürgermeister Peter Kurz in humoristische Irritation versetzt.

Leuchturmvisionäre, Metropolregionale und Lokalpatrioten fremdeln zwar merklich mit dem Veranstaltungsnamen, können sich aber dessen ironischen Charme offensichtlich nicht erwehren - und das spricht eindeutig für die geladenen Glanzpunkte in der oberrheinischen Tiefebene, die sich auch von des Leuchtturms Spitze sehen lassen können.

"Is the next Odysseus a woman?" fragt Tine Louise Kortermand aus dem dänischen Odense in ihrer musikalischen Performance und Videoinstallation mit den Musikern Robert Cole Rizzi, Niels Ryde und Chano Olskaer. Auch wenn die Frage, ob ein künftiger Odysseus künftig weiblichen Geschlechts sei, letztlich unbeantwortet blieb, stellt die Dänin zwischen poetischem Jazz, Slampoetry und Independentsound Frauen vor, der sie auf Reisen begegnete: eine schwedische Geschäftsfrau mit Selbstmordabsichten, eine jodelnde Schweizer Bankkauffrau, eine mit dem Motorrad durch Europa reisende Dänin.

Ihnen allen werden eingangs projizierte Satzfetzen zugeordnet, die erst später Gesicht und Geschichte erhalten. Der kreative Vorgang besticht durch subtile Erzähltechnik, die aus theoretisch fundierter und handwerklich wie künstlerisch sicher umgesetzter Videoarbeit in Verbindung mit sensibler Musikdramaturgie entsteht. Sommerliche Baumkronen, ein nächtlich drohender Wald, Träumereien am Meer verbinden sich mit Alltäglichkeiten der Zivilisation wie durch Zauberhand mit Songtexten zu Menschen- und Weibsbildern, die uns täglich begegnen könnten. Auch in Odense, dem Hans-Christian-Andersen-Geburtsort mitten in der dänischen Prärie, gibt es also vieles zu entdecken, nicht nur den Leuchtturm eines eben abgefeierten 200. Dichtergeburtstags. Schön, dass auch Mannheim im Schillerjahr noch mehr Hochkultur in der Tiefeben zu bieten hat.