Brombeeren, Wände und tote Hühner

TANZ: Zeitraum Exit zeigt junge Kunst an der Schnittstelle von Performance und Happening

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Mannheimer Morgen

Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals

Sie wiegt eine Stoffpuppe wie ein Kind, lässt es über ihren Körper gleiten und präsentiert es dem Publikum. Dann setzt sie zum Handstand an, singt später ein klagendes südamerikanisches Lied über den Mond, der einziger Zeuge einer tragischen Liebe zwischen einem Fluss und einem Brombeerstrauch ist: Per Video stützt und behindert sich im Hintergrund ein liebendes Paar auf einer Flussaue.

Rätselhafte Verhältnisse, sicherlich. Doch poetisch und von eigenwilliger Körperlichkeit ist allemal, was die in London lebende Baskin Itsaso Irribarren unter dem Titel "I Like When You Don't Speak" in der Neckarstädter Langen Rötterstraße präsentiert. Folglich wird kein Wort gesprochen im Zeitraum Exit, Mannheims experimentellem Büro für Kunst, das zum fünften "frisch eingetroffen" lud, einem Festival, das grenzüberschreitende Performance-Projekte aller Genres vorstellt.

Grenzüberschreitung fällt Susanne Schorr in ihrer "Raumbegehung" freilich schwer. Die junge Saarbrückerin beschreitet den von hohen Betonmauern umsäumten Lichthof des Kunstateliers. "Immer an der Wand lang" heißt es in einem feuchtfröhlichen Trinklied, ihre Wandbemessung ist indes sehr nüchtern, doch nicht weniger rauschhaft. Im schwarzen Trikot robbt sie an Mauern und Fenstergittern entlang, zieht sich an den Stäben empor, biegt und beugt sich mit artistischer Anleihe. Die abschließende Wand ist mit zwei schwarzen Silhouetten bemalt, die der ihren gleichen.

In der zum Bild gewordenen Vorstellung kann die Künstlerin die Tücke der Schwerkraft überwinden, die Schattenbilder der Tänzerin hängen kopfüber an der Wand, schmiegen sich über den rechten Winkel des kantigen Betons. Die echte Susanne Schorr kann die dritte Dimension und die Gesetze der Schwerkraft nicht überwinden, ihr sind räumliche Grenzen gesetzt. Wütend springt sie die Wand an, biegt sich in die Ecken, hadert mit dem Rahmen ihrer Möglichkeiten - ein theatralischer Vorgang, den jeder Zuschauer auf sich abbilden kann.

Der dritte Teil des Abends findet im Nebenraum statt und erntet nicht uneingeschränkte Zustimmung, hier wird's eklig. New York 1970: Art-Happening. Fleisches Lust steht im Zentrum dieses fragwürdigen Unterfangens mit dem Titel "So Darling, Are You Still Mourning?". Tierschützer, Vegetarier und Menschen mit empfindlichem Magen haben bei der Darbietung der Formation "Pandora Pop" zum Jammern und Weinen freilich ausreichend Anlass.

Während erotische Manga-Comics über die Wand flackern, geht es einem Dutzend gerupfter Hühner an den Kragen. Tote Geflügelleiber hängen an Nylonfäden von der Decke und drei Damen zwischen Pippi Langstrumpf und Teletubbie machen sich an ihnen zu schaffen, nutzen sie als Handpuppen, zieren sie mit Barbie-Köpfen, zerreißen sie und werfen die Geflügelteile durchs Publikum, das panisch in die Ecken Reißaus nimmt. Dazwischen gibt es poppige Tanzeinlagen von MTV-Güte und einen männlichen Meister mit Trillerpfeife, der die Chose gelegentlich abpfeift.

Das kommerziell suggerierte Frauenbild, übertragen auf brustgeschwollene Hühner und Barbies, mag den drei kritisch-spaßigen Damen ebenso am Herzen liegen wie Kritik an Legebatterien-Haltung und Meat-Art, all das mag auch große Kunst sein. Letztlich bleibt die Frage, ob so manche Mutter am Mittagstisch nicht richtiger liegt: Mit Essen spielt man nicht!

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