Die Befremdlichkeit des Gewöhnlichen

Galerie Zeitraum/Exit veranstaltet in Mannheim das Avantgarde-Festival "Wunder der Prärie"

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Die Rheinpfalz

Von unserer Mitarbeiterin Heike Marx
Seit ein paar Jahren gibt es in Mannheim ein Festival, das, oft unter Publikumsbeteiligung, sonderbare Künstleraktivitäten an sonderbaren Orten präsentiert. In einer Tiefgarage wurden Gemälde gezeigt, eine Theaterperformance fand im Hauptbahnhof statt. Diese Art von Kunst versteht sich als Reaktion auf eine Gesellschaft, wo die Bilder üblicherweise ins Museum gehören und die Schauspielerei auf eine Bühne. Sie kommt wie von ungefähr auf die Menschen zu und konfrontiert sie - mehr oder weniger direkt, bei viel oder wenig Spaß - mit der Befremdlichkeit des Gewöhnlichen.
Mitten zwischen Passanten agiert einer so, wie es die anderen auch manchmal unbewusst tun, nur nicht so konzentriert und nicht in der Öffentlichkeit. Die Leute bleiben stehen, wundern sich, sind amüsiert, schütteln den Kopf. Neugierig geworden, suchen einige vielleicht gezielt andere Orte auf, wo sie diese Art von Kunst erleben, die alle ästhetischen und räumlichen Abgrenzungen, die sich im Lauf der Jahrhunderte etabliert haben, überschreitet. Es ist Avantgardekunst, multimedial, interdisziplinär, interaktiv und international. Ihr Wirkungs- und Aktionsraum sind die Metropolen, wo auch das Ausgefallene sein Publikum findet.
Wie das Festival von Zeitraum-Exit, dem organisatorisch begabten Künstler-Quartett Gabriele Oßwald, Wolfgang Sautermeister, Elke Schmid, Thilo Schwarz, in Mannheim Fuß gefasst hat, kann als kleines Wunder gelten. Das Festival heißt jetzt augenzwinkernd und ein für allemal "Wunder der Prärie" mit einem von Jahr zu Jahr wechselnden Untertitel, der das Thema vorgibt. "Zu Hause" heißt es diesmal und ist mit Ausstellungen, Installationen, Performances, Theater, Video und Vorträgen auf die Tage vom 22. bis 26. September komprimiert. Mit einer kleinen Förderung der Stadt Mannheim finanziert sich das Festival aus Sachmitteln und Geldern von Sponsoren. Eintritte werden nur auf wenige Veranstaltungen erhoben.
Wie unterhaltsam Avantgardekunst sein kann, wird ein monumentales Steckbild des Wasserturms unter Beweis stellen, das während der Dauer des Festivals in der Bahnhofshalle entsteht. Passanten sind eingeladen, jeweils 100 Mini-Steck-Plättchen für eines von 1250 Pikseln zu stecken. Sie können sich dabei über die Heimatgefühle äußern, welche die Stadt Mannheim in ihnen auslöst. "Das Material macht süchtig", weiß das Künstlerduo Friedrike und Uwe aus Erfahrung, viele Teilnehmer gäben sich nicht mit einem einzigen Piksel zufrieden.
Vielleicht noch mehr Spaß verspricht das theatrale Großereignis im Holiday Inn am 25. September ab 22 Uhr. Über Bildschirme ist mitzuerleben, wie die vier Schauspieler der deutsch-englischen Gruppe Gob Squad, jeder für sich allein in seinem Zimmer, die Nacht totschlagen. Was sie brauchen, bringt der Zimmer-Service, ansonsten ist das Telefon der einzige Kontakt nach draußen, und zwar nur zu den Zuschauern. Je eifriger sie chatten und die Akteure auf Trab bringen, um so mehr bekommen sie zu sehen und zu hören. Der interaktive Live-Film aus Entertainment, Comedy und Improvisation ist eine Koproduktion mit Kampnagel Hamburg und Podewil Berlin.
Die Ausstellungen, "Wohncontainer" bei Zeitraum-Exit und "Das Unternehmen im Wohnzimmer" in G7, 22, (vormals Galerie Neue Kunst) stehen im Zeichen der Video-Technik.
Bei den Performance-Sitzungen, mit denen das Festival am 22. September, 20 Uhr, bei Zeitraum-Exit in Party-Atmophäre beginnt, muss man sich auf Zeitlänge gefasst machen: Hina Strüver aus Zürich richtet sich mit drei weißen Hühnern für die Dauer des Festivals im Hinterhof der Galerie häuslich ein. Dem fatal endenden Essensstress der japanischen Künstlerin Anti-Cool kann man mehrere Stunden lang zusehen. Eine der festivaltypischen Aktivitäten sind Rundgänge mit kleinem Publikum. Im Vorjahr wurde man auf der Ladefläche eines Lkw durch Straßen gefahren. Diesmal begibt man sich in private Wohnungen, die von jeweils einem Künstler für seine Arbeit besetzt wurden. Den ebenfalls charakteristischen Kunstdiskurs - das Festival hat seine festen Strukturen entwickelt - führen Vorträge von Stefan Kägi, dem Schöpfer des Ameisenstaates vor zwei Jahren, und Wolfgang Sautermeister. Bei einigen Veranstaltungen, wie den geführten Wohnungsrundgängen und der Nacht im Holiday Inn, sind Voranmeldungen von Vorteil.