Die Evolution im Laserlicht

Kunst: Die Stadtgalerie Mannheim zeigt Arbeiten von Videokünstlern aus der Region

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Mannheimer Morgen

Auf den ersten Blick wirkt die Halle nackt. Von irgendwo kommen Geräusche. Stimmen vielleicht, ein Gespräch, leise Musik. Der große Raum der Mannheimer Stadtgalerie ist in flackerndes Licht getaucht. Aus dem Augenwinkel sieht man gerade noch ein Stück einer  vorbeirasenden Landschaft – dann zerreißt ein Knall die Luft. Die Wände werfen ihn kurz hin und her, bevor sich die Geräusche die Halle zurückerobern.
Der Besucher – er kann nicht anders. Er muss wissen, woher er kam, dieser Knall. Was die Ursache war, was er angerichtet hat. Rechts hinter der Trennwand wartet die Auflösung auf vier Leinwänden. Rechts und links ist eine Hand zu sehen, die eine Pistole hält. In der Mitte zwei Menschen, ihr Gesicht in Nahaufnahme. Sie haben die Augen geschlossen, doch ihre Gesichter wirken angespannt. Sie wissen, irgendwann kommt er, der Knall. Der Besucher weiß es auch und wartet nervös mit ihnen. Dann fällt der nächste Schuss. Der Mann rechts im Bild reißt erschrocken die Augen auf – dann lehnt er sich zurück, lachend. Der Besucher lächelt mit ihm, erleichtert.
Körperliche und psychische Grenzgänge sind das Thema von Fritz Stiers Videoinstallationen. „Hier ist es eine Bedrohungssituation, die irgendwann aufgelöst wird – aber nicht so, wie man es erwartet“, sagt er. Rechts daneben balanciert eine Frau. Ständig droht sie, das Gleichgewicht zu verlieren. Doch bei seiner Arbeit „In_Secure“ lässt Stier den Betrachter im Ungewissen. Die Frau fällt nicht, gewinnt ihr Gleichgewicht aber auch nicht wieder – sie bleibt unsicher.

„Bindeglied zu neuen Medien“
„Spektrum Videokunst“ heißt die Ausstellung, die heute in der Stadtgalerie eröffnet wird und bis 31. März zu sehen ist. Sie lädt ein zu einem Rundgang durch die wichtigsten Positionen von Videokünstlern im Großraum Mannheim. Es ist eine Zusammenarbeit mit dem Verein für visuelle Kunst und Jetztkultur. „Der Fokus liegt hier auf Videokunst und Videoinstallationen – die Ausstellung ist also eine Art Bindeglied zu den ganz neuen Medien, die auf der B-Seite zu sehen sind“, erklärt Galerieleiter Benedikt Stegmayer. Psychedelisches ist in der Stadtgalerie zu sehen und Minimalistisches, Hektisches und Ruhiges, Verstörendes, aber auch Witziges.
Die Stimmen etwa, die  bereits am Anfang zu hören sind, kommen vom Künstlerduo superart.tv. Eric Carstensen und Michael Volkmer haben in „Paar“ berühmte Film-Dialoge nachgespielt. Dialoge zwischen Männern, die zusammenarbeiten. In denen es um ihre Beziehung geht, um Vertrauen, aber auch um Konkurrenz. „Ein seltsames Paar“und „Pulp Fiction“ gehören zu den zitierten Filmen.
Neben den sich unterhaltenden Monitoren hängt ein weiteres Zitat an der Wand: „Akt, eine Rolltreppe herabfahrend“. Superart.tv haben ein berühmtes Gemälde von Marcel Duchamp und Gerhard Richters „Ema“ in Bewegung versetzt, sie in Videokunst übertragen. Um Übersetzungen geht es auch im Kabinett. Benjamin Jantzen, Initiator des Festivals „B-Seite“, war 2012 Jurymitglied des „Visual Music Awards“, der künstlerische Visualisierungen von Musik auszeichnet. Die Gewinnerfilme hat Jantzen in die Stadtgalerie mitgebracht und an ein Labyrinth aus Kabeln angeschlossen. Darunter „SnailTrail“ von Philipp Artus. Er übersetzte die Musik in eine Laser-Animation und erzählt die Geschichte einer Schnecke, die auf ihrem Weg immer weiter beschleunigt wird. Eine Geschichte der Evolution in Linien und Strichen aus Laserlicht.
Die Ausstellung ist eine kleine Entdeckungstour durch die regionale Szene der Videokunst. Dass die Arbeiten der Künstler in der  Stadtgalerie teils am Boden liegen, in Ecken flimmern oder von der Decke schweben, macht diese Tour umso interessanter. Vor der schwarzen Trennwand etwa schweben Ruth Hutters zitternde Beine im Raum. In „Bodything 4“ hat sie Fragmente ihrer ausgestreckten Beine auf Plexiglasplatten projiziert und neu zusammengesetzt. Sie gehören zusammen und sind doch getrennt. Die letzte Platte, die beiden Beine in der Mitte zusammenführt – sie fehlt.