Die Faszination der ersten Worte in Romanen
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Von unserem Mitarbeiter Martin Vögele
Sie: "Ich trinke nicht gern allein!" - einen Hauch Empörung in der Stimme, vielleicht auch den flüchtigen Schimmer einer Bitte. "Ich trinke", kontert er, trocken, ungerührt, ein bisschen amüsiert. Ein Moment der Stille, der Anspannung, dann wieder zerfällt die Szene. Kathrin Höhne und Nico Frankenberg transformieren ihre improvisierten Charaktere, ordnen den Raum neu, erschaffen neue Identitäten und Beziehungsstrukturen.
"Als sie aus dem Wagen stieg . . ." heißt dass neue Projekt von Exit Ausgangspunkt Theater - es sind die ersten Worte aus Anita Shreves Buch "Der weiße Klang der Wellen". Der Roman selbst wird an diesem Abend keine Rolle spielen, ihm wurde schlicht der einleitende Satz entlehnt. Aber dieser steht stellvertretend für die Faszination eines jeden Buchanfangs - einladend oder abschreckend, in jedem Fall aber das Tor zu einer Geschichte, die noch für alles Denkbare offen ist.
"Als sie aus dem Wagen stieg . . ." - Frankenberg und Höhne deklinieren im Bühnenraum des Mannheimer Künstlerhauses Zeitraum Exit den möglichen Fortgang des Satzes durch: ". . . war sie in Rauch eingehüllt", "war er total betrunken". Regisseurin Elke Schmid hat ihren beiden Darstellern einen weiteren Text an die Hand gegeben, erst kurz vor der Vorstellung, er entstammt Louis Begleys "Schiffbruch".
Höhne trägt ihn vor, Frankenberg wiederholt einem Mantra gleich Schlüsselvokabeln. Die Textpassage (Protagonist John North begegnet hier in einer Bar einer Frau) wird zu einer losen Grundlage für das Spiel der beiden. Dialoge werden angerissen, physische Annäherungen und Entfremdungen zelebriert, vieles spielt sich im Schweigen ab, wird vom Zuschauer in die Momente erstarrter Bewegungen hinein assoziiert. Die improvisierten Geschichten bleiben fragmentarisch, deuten nur an, suchen dann andere Wege.
Allenthalben geschieht das spielerisch, humorvoll - wozu das Bühnenbild nicht wenig beiträgt: Tilo Schwarz hat hier vier Haufen aus Plüschtieren angeordnet, eines von ihnen (Puh der Bär) wird später als Peter North identifiziert werden.
An jedem Abend wird Schmid einen neuen ersten Buchabschnitt wählen, auch die Bühne soll unterschiedlich gestaltet werden. Für diese erste Vorstellung gilt: Viel Applaus für zwei starke Schauspieler, die ein reizvolles Konzept anspruchsvoll umgesetzt haben.