Die Freundin, die ins Wasser geht

Comic-Ausstellung "Talking Territories" in Mannheim

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Die Rheinpfalz

VON ANTONIA KURZ

Comics bieten schon lange mehr als grelle Bildchen mit sprechenden Tieren. Dies bestätigt einmal mehr dieAusstellung „Talking Territories“ im Mannheimer  Kunsthaus Zeitraumexit und beweist die Vielseitigkeit des inzwischen als Kunstform anerkannten Mediums. Zum vierten Mal hat Kurator Tilo Schwarz Arbeiten
junger europäischer Comiczeichner zusammengestellt.

Das Werk von Conor Stechschulte besteht aus Hunderten filigraner Tuschestriche, und es benötigt den Betrachter, um zu funktionieren. Stechschulte, ein Künstler aus den USA, hat auf einer postkartengroßen Serie Landschaften gezeichnet, die sich zu einem Waldspaziergang zusammensetzen, wenn man an den an der Wand aufgereihten Bilder von links nach rechts vorbeiläuft. Der Zuschauer imKino ist passiv, weil ihm bewegte Bilder vorgeführt werden. Der Comic als Serie von Bildern aber entfaltet sein erzählerisches Moment erst, wenn er durch den Betrachter aktiviert wird.
Neben Stechschultes „Waldspaziergang“ hat Kurator und Comicliebhaber Tilo Schwarz für seine Ausstellung in Mannheim Werke von vier weiteren jungen europäischen Talenten ausgewählt und damit für „Talking Territories“ eine feine Auswahl getroffen.
Alle Blicke auf sich ziehen wird vermutlich die dominante meterhohe Wandzeichnung, die Ward Zwart aus Belgien für die Ausstellung in zwei Tagen mit Kohle angefertigt hat. Auf den ersten Blick wirkt sie imposant, enttäuscht aber auf den zweiten. Die Zeichnung zeigt nur einen unspektakulären Straßenzug: ein geparktes Auto, daneben ein Haus, rechts ein Paar in Rückenansicht. Bedauerlich, dass einem Werk so viel Platz eingeräumt wurde, dem es dann doch an Aussagekraft und Tiefe fehlt.
Drei Bilder-Paare des italienischen Künstlers Andrea Bruno, die aus Comics isoliert wurden, erinnern wiederum an einen Rorschachtest sowie an Schattenrisse, bestehen sie doch aus scheinbar nachlässig hingeworfenen Tuscheklecksen. Der Künstler hat sich keine Mühe gegeben, den Entstehungsprozess seiner Zeichnungen zu verschleiern. „Andrea Bruno geht es nur um die Wirkung seiner Bilder, nicht um die Schönheit oder Ästhetik des Blatts“, sagt Tilo Schwarz. Für Korrekturen setzt der Künstler schonmal Tipp-Ex ein. Brunos grobe Bildsprache passt zu seinen Motiven, die von Tristesse, Einsamkeit und Verzweiflung erzählen. Die etwa DIN-A4 großen Zeichnungen zeigen von einem anonymen Krieg zerstörte  Landschaften, abgestumpfte und verschattete Gesichter. Auf einem Blatt knurren sich zwei Straßenköter an, auf anderen sind alle Personen getilgt.
Die Zeichensprache der Schweizer Künstlerin Anja Wicki dagegen ist reduziert, setzt sie doch klar umrissene, geometrische Flächen ein. Ihre Comicseiten bestehen aus mehreren Buntstiftzeichnungen und fein aquarellierten Bildern. Die kurze Sequenz, die in „Talking Territories“ gezeigt wird, erzählt von einem Selbstmord. Eine junge Frau ertränkt sich im Meer. Sie lässt einen Mann zurück, der wie Casper David Friedrichs Mönch am Strand auf den Ozean blickt, in dem seine Freundin gerade verschwunden ist.

TERMINE
Kunsthaus Zeitraumexit in Mannheim, Hafenstraße 68-72, bis zum 16. Februar, geöffnet Freitag, 16-20 Uhr, Samstag und Sonntag, 14-18 Uhr.

Düstere Szenerien: Comics von Andrea Bruno