"Die Grenzen sind heute fließend"

Das Interview: Zum 50. Geburtstag der Fluxus-Kunst organisiert Wolfgang Sautermeister in Mannheim ein neunstündiges Happening

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Mannheimer Morgen

Von unserem Redaktionsmitglied Annika Wind

Eine flüchtige Kunstform hat Geburtstag: der Fluxus. In Mannheim feiert das heute Wolfgang Sautermeister mit einem neunstündigen Happening bei Zeitraumexit, zu dem er Künstler aus der Region eingeladen hat. Ein Gespräch über „Zufalls-Kompositionen“ und Werke aus Radios, Papier und Stille.

Herr Sautermeister, der Fluxus wurde in den 60er Jahren begründet und seitdem tausendfach für tot erklärt. Wie vital ist er in der Region?

Wolfgang Sautermeister: Er ist durch das Ludwigshafener Büro für angewandten Realismus und in Mannheim durch Zeitraumexit in einer weiterentwickelten Form sehr lebendig. Die Fluxus-Bewegung hat seit ihrer Gründung wesentliche Impulse gegeben für die Bildende Kunst und für ein völlig neues Verständnis für das Theater. Ich habe den Eindruck, dass sich das erst in den letzten Jahren richtig bemerkbar macht und verstanden wird. Die Aktions-und Performance-Kunst ist doch ohne die Fluxus-Einflüsse gar nicht denkbar.

Wichtig für den Fluxus ist eher die künstlerische Idee, weniger das Werk an sich. Was also gibt es bei Zeitraumexit zu sehen?

Sautermeister: Bemerkenswert ist, dass neben der Ausstellung mit Partituren, Fotos, Objekten, Klanginstallationen, Zeichnungen, Film und Videos auch Aktionen und Performances zu sehen und zu hören sind, die sich mit Klang bzw. Geräuschen auseinandersetzen. Einige Fluxisten der ersten Stunde waren ja Musiker. Ich habe Künstler gefragt, ob sie sich beteiligen. Heute wird also genau genommen eine „Zufalls-Komposition“ mit offenem Ausgang entstehen. Und genau darum geht es mir. Das hat viel mit Fluxus zu tun. Das Wesentliche ist, dass die Grenzen fließend sind, dass keine Einengung und Kategorisierung stattfinden soll.

Auch der konstruktivistische Maler Bernhard Sandfort macht mit – würde er sich selbst als Fluxus-Künstler bezeichnen?

Sandfort: Nein, er wird sich aber unter anderem auf John Cage beziehen. Der Zufall spielt bei Cage wie bei Sandfort eine große Rolle, darüber wird er auch sprechen. Und Cage ist einer der ganz großen Ideengeber der Fluxusbewegung. Bernhard Sandfort war zudem befreundet mit Wolf Vostell, neben Joseph Beuys und Nam June Paik einer der wohl bekanntesten Fluxus-Künstler.

Und was wird er zeigen?

Sautermeister: Sein 16-teiliges Bild „Sehwege“. Außerdem spricht er über sein Verständnis von Zufall.

Sie haben Künstler gebeten, Fluxus weiterzudenken. Was macht diese Kunst heute aus?

Sautermeister: Wer in den letzten Jahren immer mal wieder zu Zeitraumexit kam, konnte eine faszinierende Fülle davon erleben, wie sich diese Kunstform weiterentwickelt hat. Selbstverständlich sind Christoph Schlingensief oder Leute wie Jonathan Meese, Yoko Ono und auch ein Timo Segal Künstler, die diese Kunstrichtung weiter verfolgt, entwickelt und verfeinert haben.

Fluxus-Kunst entstand auch aus ungewöhnlichen Materialien. Womit wird heute gearbeitet?

Sautermeister: Mit Fahrradschläuchen, Radios, Wasser, Kleidung, Luft, Klang, Geräuschen, Objekten, Musik, Filmen, Schnüren, Stille, Papier, Worten, Fotos und Partituren.

 

Zur Person: Wolfgang Sautermeister, Jahrgang 1954, zeigt seit 1992 Performance Art in Deutschland, Italien, der Schweiz und in Frankreich. Er gründete das Künstlerhaus Zeitraumexit mit, das er mit Gabriele Osswald und Tilo Schwarz leitet.

Zum Happening: Konzerte, Filme und Performances werden heute, Samstag, zwischen 18 und 3 Uhr bei Zeitraumexit gezeigt. Mit dabei sind u.a. Benedikt Stegmayer, Fritz Stier, Helmut van der Buchholz, Jan-Philipp Possmann und Uli Krug. Parallel dazu ist Kunst von Klaus Staeck, Peter Weibel oder Wolf Vostell zu sehen (Hafenstr. 68-72, Eintritt: 5 Euro). aki