Eine Frage von Prioritäten und Konzepten

Das Interview: Florian Malzacher, Leiter des renommierten Impulse-Festivals, diskutiert bei zeitraumexit über die "Freie Szene 2020"

Zeitung

Mannheimer Morgen

Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals

Er ist Kurator des Steirischen Herbstes in Graz, seit kurzem auch Leiter des Theaterfestival Impulse – und Mannheimer: Florian Malzacher. Für ein Podiumsgespräch zur Zukunft der Freien Szene kehrt der Theaterwissenschaftler heute in seine Heimatstadt zurück. Wir nutzen die Gelegenheit für ein Gespräch.

 

Wie hat sich die Freie Szene in der Zeit Ihres Mitwirkens verändert?

Florian Malzacher: Vor allem ist sie internationaler geworden: Relevante freie Gruppen produzieren nicht mehr nur für ein lokales Publikum, sondern für eine Szene, die sich über den gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus erstreckt. Und sie definiert „frei“ nicht mehr so sehr über Strukturen, sondern als Freiheit, neue künstlerische Formen zu entwickeln. Sie ist selbstbewusster geworden. Dennoch: Aufgrund der starken Stadttheater-Struktur ist sie im deutschsprachigen Raum noch immer weniger relevant als in manchen anderen Ländern. Da gibt es weiterhin Nachholbedarf. Zunehmend wird die kulturpolitisch gewünschte Verknüpfung von Szene und Stadttheater umgesetzt.

Profitieren alle Seiten davon?

Malzacher: Grundsätzlich ist dagegen nichts zu sagen. Aber dass das alles so einfach wäre, ist Unsinn: Es gibt grundsätzliche andere Vorstellungen von Ästhetiken, Strukturen, Arbeitsweisen. Und es ist gut, auf diese Unterschiede zu bestehen. Die notwendige Reformation der Stadttheater ist nicht damit getan, dass man ein paar Künstler von außen einlädt, die dann oft Arbeiten abliefern, die schlechter sind als das, was sie außerhalb leisten.

Welche Entwicklungen ergeben sich daraus für beide Seiten?

Malzacher: Die freie Szene muss klar definieren, welche Strukturen sie braucht und wofür – und diese auch einfordern. Und Stadttheater müssen sich ebenfalls genauer überlegen, was sie eigentlich wollen: ein Feigenblatt oder wirklich eine andere Denk- und Arbeitsweise. Die Konsequenz aus beiden Überlegungen könnte sein, Studiobühnen neu als  eigenständige Spielorte zu definieren und dort ein paar Schritte weiter in der Zusammenarbeit zu gehen.

Sie sind Kenner freier Produktions- und Probenverhältnisse sowie Auftrittsmöglichkeiten. Welchen Einfluss haben sie auf die Struktur städtischer Kultur?

Malzacher: Das ist doch der zentrale Punkt: Wenn eine Stadt eine Infrastruktur für Künstler bietet mit allem was dazugehört, dann spricht sich das rasch rum und wird auch Künstler anziehen: Am Ende hat man doch lieber Arbeits- und Aufführungsmöglichkeiten in Mannheim als keinen Job in Berlin. Aber solche eine Infrastruktur muss langfristig geplant  und vor allem sehr ernst gemeint sein. Wenn eine solche Struktur geschaffen ist und ein guter Aufführungsort etabliert ist, dann kann er sehr schnell auch international eine wichtige Rolle spielen.

Einige freie Künstlerkollektive, wie Gob Squad, She She Pop oder Rimini Protokoll, haben es längst zu Festspiel- und Theatertreffenpräsenz geschafft. Sind somit nicht auch im subventionierten  Repräsentationsbetrieb angekommen, gegen den sie einst antraten?

Malzacher: Man kann ja schlecht etwas dagegen haben, dass Künstler mit ihrer Arbeit wahrgenommen werden und auch ihren Unterhalt verdienen wollen. Es geht nicht darum, wie groß die Festivals sind, bei denen sie ihre Sachen zeigen – sondern darum, ob diese Festivals und Häuser wirklich willens und in der Lage sind, Kunst zu produzieren und zu fördern, die sich nicht in ihre organisatorische Logik pressen lässt.

Kooperiert und gastiert wird mit und bei den üblichen Verdächtigen wie Kampnagel, HAU, Sophiensaelen etc. und kaum in kleineren Städten. Wie viel Freie Szene Kunst verträgt die Provinz, oder wie viel Provinz die Freie Szene?

Malzacher: Das ist auch eine Frage der Priorität: In Belgien gibt es großartige „Kunstencentren“ in Städten wie Gent oder Leuven. Natürlich braucht es dafür vernünftige Konzepte und vor allem eine langfristige kontinuierliche Förderung, um eine künstlerische Szene und ein Publikum aufzubauen. . .

Sehen Sie diese Chancen auch in Mannheim?

Malzacher: Warum sollte das nicht funktionieren? Zeitraum Exit tut das ja bereits sehr bemerkenswert mit absurd wenig Geld. Wenn hier die Möglichkeit zu ernsthafter Koproduktion geschaffen wpürde und ein ordentliches Budget zur Verfügung stünde, würde das sehr schnell internationale Aufmerksamkeit erfahren. Die starke Zentralisierung in Deutschland auf die großen Städte, vor allem auf Berlin, ist ja zum Teil schlicht auch der Einfallslosigkeit der kleineren Städte geschuldet.

 

Florian Malzacher

Als Sohn von Nationaltheaterschauspielerin und Bloomaul Gabriela Badura wuchs Florian Malzacher, Jahrgang 1970, in Mannheim auf. Er studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Als Theaterkritiker war er für „Frankfurter Rundschau“, „taz“, und "TheaterHeute“ tätig. Er ist seit 2006 Kurator des Festivals Steirischer Herbst in Graz.

Malzacher war Jurymitglied der Mülheimer Theatertage und ist Berater der Schillertage Mannheim.

Von Matthias von Hartz und Tom Stromberg übernahm er die Leitung des internationalen Theaterfestivals Impulse, das in Bochum,  Düsseldorf, Köln und Mülheim die wichtigsten Produktionen der Freien Szene zeigt.

Heute Abend diskutiert Florian Malzacher bei Zeitraumexit (Hafenstraße 68) ab 21 Uhr mit Kathrin Tiedemann (Forum Freies Theater Düsseldorf) und den Künstlern Herbordt/ Mohren, über „Die Freie Szene im Jahr 2020“. Eintritt frei. rcl