Fliesen statt Mamor, Latten statt Edelholz
Akademiestudenten aus Offenbach bei zeitraumexit
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Von Heike Marx
"Carte blanche" nennt zeitraumexit seine Initative zur Föderung von Akademiestudenten, die kurz vor dem Abschluss stehen. Eine Fachklasse erhält Gelegenheit, in den Räumen der Mannheimer Künstlergruppe eine Ausstellung mit einen Arbeiten auszurichten. Nach der Klasse von Susanne Windelen von der Akademie Stuttgart vor zwei Jahren präsentiert sich jetzt die Klasse von Wolfgang Luy von der Hochschule für Gestaltung Offenbach unter dem Titel 'Überqualifizierte Material'.
Es ist abermals eine Bildhauerklasse und ihre Ausstellung wirft abermals die Frage auf, wie sich Skulptur in unserer Zeit überhaupt definiert. Nicht einmal der allerkleinste gemeinsame Nenner, dass eine Skulptur dreisimensional ist, scheint noch Gültigkeit zu haben.
Dass die traditionellen Materialien Metall, Stein, Holz, Ton ausgedient haben und durch Fertigware aus dem Baumarkt ersetzt werden, wie man schon an der Stuttgarter Ausstellung beobachten konnte, hat einen einfachen Grund. Sie sind viel zu teuer, als dass ein Kunststudent sie sich leisten könnte. Anfänger brauchen kein 'überqualifiziertes Material'. Billige Latten statt edles Stammholz, Fliesen aus der Massenproduktion statt Marmor, diverse Abfälle von Schrott bis zur Spiegelscherbe, von Textilien bis zu Pappkarton und Spanfaserplatte erfüllen ihren Zweck mindestens ebenso gut.
Was aber ist der Zweck? Sieht man genauer hin, erkennt man Methoden der persönlichen Selbstfindung. In Volumen vortäuschenden, mit bunten Blumenmustern bedruckten Stoffen, die über Spiegelscherben und einer ausgebreiteten Perücke hängen, ist Maria Ansimowa offenbar auf der Suche nach weiblicher Identität. Ischkhan Nasaryan versucht sich an der Aufarbeitung von Schrottplastiken, die heute eher als von der Zeit überholt gelten. May Eulitz positioniert sich in kritischer Ironie mit einem grasgrünen Siegerpodest, das auf vier echten Tomaten ruht, und einer Siegerpokal-Attrappe. Sarah Schweizer definiert sich über das Material Holz, das sie aber nicht verarbeitet, sondern abfotografiert, die Fotos ausschneidet und zu Collagen zusammenfügt. Es sind Wege zu subjektiven Aussagen, die nur sehr wenig mit dem zu tun haben, was man traditionell unter einer Skulptur versteht.
Zwei knallbunte Gebilde von Emilia Neumann kommen einer solchen zwar ziemlich nahe, sie fallen durch ihre krude Anmutung jedoch aus dem Gesamtbild der Ausstellung heraus, das durch das Vorherrschen konkreter Lösungen ernst und gediegen wirkt. Konstruktiv in Quadraten präsentierte Objekte und Fundstücke (Lutz Pillong), architekturale Raumeingriffe durch über Eck gesetzte Wandfliesen (Emanuel Oliviera Barata) und eine Verbrämung der Fensterfront durch milchige Plastikscheiben (David Schiesser) setzen sehr zurückgenommene Akzente. Es gibt auch ein fast klassisch zu nennendes Relief aus bearbeiteten und polierten Granitplatten einer industriellen Fassadenverkleidung. David Stern hat es gemacht und abseits von der Ausstellung an einer Außenwand im Hof angebracht.
Zwei Exponate gehören zu den virtuellen Lichtskulpturen, die aus der profanen Anwendung kommen und viele junge Künstler umtreiben. Simone Schulz beamt im Treppenhaus eine Lichtlinie in eine Mauerecke. Sie hat ironischen Charakter, wenn man dem Titel Glauben schenkt. Sven Prothmann beamt grünblaue, einander überlappende Lichtquadrate auf den Boden. Die unterschiedlichen Farben leiten sich aud dem Alterungsprozess der Geräte her. Aber das ist eine Absicht, die, wie so manches in der Gegenwartskunst, ohne Erklärung nicht sichtbar wird.
Da Fotografie ein Arbeitsgebiet von Wolfgang Luy ist, findet sie sich auch bei den Studenten. Lilly Lulay und Malte Zenses haben Fotos, Mira Bussemer und Simone Schulz Videos bearbeitet. Das Fotointeresse ist in den selbstgemachten Katalog eingegangen, der mehr grafisch ambitioniert als informativ ist.