Freie Szene 'traumatisiert'

Kulturpolitik: Mannheim will Kulturhauptstadt werden – tut sich aber schwer, Mehrheiten zu finden und die Weichen zu stellen

Zeitung

Mannheimer Morgen

„Qualität des Theaters war es schon immer, Leute zusammenzubringen.“ Das weiß und tut Kurator und Impulse-Festivalleiter Florian  Malzacher generell und auch bei der Diskussion „Freie Szene 2020?“ im Kunstzentrum Zeitraumexit. „Völlig losgelöst“ nennt die einladende Veranstalterin Gabriele Oßwald ihre „Tage der freien Szene“, doch sehr gelöst wirkt an jenem Abend im Mannheimer Jungbusch niemand. Obwohl große Eintracht auf dem Podium besteht: Mit Malzacher und Oßwald sind sich auch Kathrin Tiedemann, Leiterin des Forum Freies Theater Düsseldorf, und Künstlerin Melanie Mohren (50 Prozent des Künstlerduos Herbordt/Mohren) einig. „Teilhabe am internationalen Diskurs ist heute ein relevanter Theaterwert“, „Freie künstlerische Praxis entwickelt sich weitgehend ohne klassische Instrumentarien und nicht aus dem Guckkasten“, erfährt man, fordert „Zeit und Raum, der Kunst ermöglicht“, und man wünscht sich „Mut, vorhandene Strukturen zu stärken“. . .

„Inkompetente Entscheider“

Der Saal ist gut gefüllt mit Kulturmachern, -vermittlern, -lobbyisten, - initiatoren, -sprechern, -amtsleitern aus Freiburg, Baden-Baden, Stuttgart, Frankfurt und – ach ja – Mannheim: Bekanntes unter Bekannten also. Und das an einem Tag, der nicht gut war für die  Mannheimer. Rainer Kern begrüßte die Streiter für Produktionszentrum, Kulturhauptstadt, Kulturvision, Festivalmetropolregion (und viel Gutes und ewig Ausdiskutiertes mehr) als kooperierender Leiter von „Kultur Raum Stadt“ realistisch und lakonisch mit einer entlarvenden Gewissheit: „Die kulturelle und künstlerische Durchdringung der Stadtgesellschaft hat in Mannheim noch nicht stattgefunden, wie die heutige Kulturausschusssitzung zeigte.“

Auch Gabriele Oßwald zeigt sich vom terminlich vorausgegangenen Kulturausschuss „traumatisiert“. Dass das durch Kunsthallenabriss unverschuldet in Raumnot geratene Oststadttheater unterstützt werden soll und muss, ist außer Frage. Schockierend ist für die  Kulturschaffenden eher die beherzte Einigkeit der helfenden Hände, die in dieser Form trotz visionärer städtischer Absichten in „freien Belangen“ im Ausschuss nie aufkommt. Nicht auf jene Sitzung bezogen, sondern im Hinblick auf die Situation im Land erhält Bea Kießlinger (TanzSzene BW) unerwartet viel Zuspruch für die Feststellung, dass es „in Baden-Württemberg noch nicht möglich ist, Politikern verständlich zu machen, was da in der Freien Szene passiert.“ Dass sich darstellende Kunst, Theaterformen und kulturelle Strukturen in den nächsten 20 Jahren stark verändern werden, wird in Mannheim hartnäckig ignoriert. Selbst international tätige Kuratoren sprechen von einer „Inkompetenz der Entscheider“, in Mannheim besuchen sie generell weder die Institutionen noch Diskussionen dieser Kunstformen. Man hat ja NTM, REM, und bald – Achtung Scherz – wahrscheinlich auch bald HKHM („Hector Kunsthalle Mannheim“).

Erschreckend und frustrierend, so ist in Gesprächen zu hören, mit welcher Selbstverständlichkeit wirtschaftliches Zutrauen in  schwindelerregenden Höhen herrscht, während freie Künstler bei lächerlich geringen Projektgeldern unter riesigem Rechtfertigungsdruck stehen. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, der Nimbus des Ärmlichen, die ständige Defensive: Man ist es leid, nicht nur auf  Probebühnen, sondern – und das ist neu – auch auf Vermittler- und Verwaltungsebene. 

Schluss im Theater Felina Areal

Passend dazu erreichen die Veranstaltung verheerende Nachrichten von Szene-Motor und -Motivator Sascha Koal, der sein in Eigenarbeit etabliertes Theater Felina Areal im Mai schließen muss. Nicht aus Misswirtschaft oder Besuchermangel, sondern aus blanker Existenznot, und weil Selbstausbeutung dann doch irgendwo ihre Grenzen hat. Und weil die städtische Förderpraxis über Projektgelder einfach nicht  mit Institutionen vereinbar ist, die nachhaltig kuratorisch arbeiten. Wo Weichen gestellt werden sollten, entfällt nun mit dem Theater  Felina Areal ein Ort, der erfolgreich interessante Künstler ansiedelte.

Wer Strukturen für 2020 schaffen wolle, so Malzacher, „muss einen Plan haben, Kontinuität ermöglichen und auf Veränderungen reagieren.“ Schlechte Chancen also für Mannheim, dem es zwei Jahre vor „Theater der Welt“ und (nur) acht Jahre vor dem visionierten Kulturelysium 2020 nicht gelingt, den Sonntagsreden auch Geld und  politischen Willen folgen zu lassen.

 

 

Schwierige Antragslage (Infokasten)

  • Zuschüsse des Landes Baden-Württemberg sind in der Regel – auch in ihrer Höhe – von der Bewilligung kommunaler Förderung abhängig.
  • Überschneidungen von Projektplanungen und Antragsfristen führen häufig zu Problemen bei Konzeption und Finanzierung.
  • Eine Unterstützung der Freien Szene funktioniert fast ausschließlich über jeweils einzeln zu beantragende Projektgelder.
  • Geld für langfristige konzeptionelle und dramaturgische Arbeit, kuratorische Tätigkeit ist nicht vorgesehen.  
Podium (v.l.) K. Tiedemann, G. Oßwald, F. Malzacher, M.Mohren (Foto: Empl).