Geschichten und Schicksal

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Mannheimer Morgen

Mit geschwärztem Gesicht singt Bee Chang Rossinis „Bel Raggio“-Arie, während die Begleitmusik verzerrt aus einer Phalanx von Weltempfänger-Radios dringt, die Philipp Scholtysik auf der Bühne verteilt. Es ist dies der aufwühlende Kulminationspunkt
der großartigen Theater-Performance „Blickakte“, mit der das Wochenendfestival „frisch eingetroffen“ im Mannheimer Zeitraumexit
eröffnet wird. Die Historie des somalischen Nationaltheaters bildet hierbei den Ausgangs- und Knotenpunkt für ein interkulturelles Geflecht aus Geschichten und Schicksalsfäden, die von Scholtysik und Chang mit Hilfe von Foto-, Filmeinblendungen unter der Regie von Daniel Schauf erzählt werden.
Somalia im Fokus
Da ist etwa der Chinese Liu, der einst beim Bau Theaters geholfen hat und zusammen mit dem in Deutschland geborenen Somalier Ahmed ans Horn von Afrika reisen will, um eine Myrrhe-Handelsunternehmung zu starten; und Scholtysik selbst, der beide begleiten soll, um dort zu recherchieren und daraus einen Theaterabend zu entwickeln – für den er wiederum Mitstreiter sucht (Auftritt: die taiwanesische Künstlerin Bee Chang): eine kluge wie witzige Koproduktion mit dem Wiener Theater Drachengasse und dem National
Theatre of Somalia.
Auch die zweite Aufführung überzeugt: „Waving to Virginia“, eine Tanz-Performance, in der Eyal Bromberg, Sebastian Zuber und Elda Gallo die Kunst und das Leben bekannter Selbstmörderinnen (Virginia Woolf, Sylvia Plath, Anne Sexton) als Ausgangspunkt genommen
haben, um das Spannungsfeld zwischen Lebenswillen und Todessehnsucht zu ergründen. Stimmig choreografiert und gut ausgeführt treffen leidenschaftliche Eruptionen auf Momente lähmender Verzweiflung und David-Lynch-artige (Alp-)Traum-Anordnungen. In „Breakdance dance“ zerlegt Anna Prokopová dagegen den Tanz zeitlupenhaft in seine Einzelabläufe und Grundpositionen. /mav
 

"Waving to Virginia". Bild: Peter Empl