Hochrechnungen auf der Waage

Das Festival "zeitraum_ex!t" widmet sich zeitgenössischen Kunstformen

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Rhein-Neckar-Zeitung

Von Carmen Bürk

Kaum sind die Sommerferien vorbei, dann lockt das Büro für Kunst „zeitraum_ex!t“ in Mannheim mit überraschenden und faszinierenden Reisen. Vom 14. bis zum 24. September kann jeder beim Internationalen Festival „Wunder der Prärie“ zeitgenössische Ausstellungen, Performances, Videoinstallationen und Theater von Künstlern aus Deutschland, England, Dänemark, Frankreich und der Schweiz zum Thema „Reisen“ erleben. Weil Reisen stets mit Bewegung und Sehnsucht zu tun hat, haben die Veranstalter neben ihrem Ausstellungsraum, Lange Rötterstr. 23, auch Alltagsräume wie zum Beispiel den Mannheimer Hauptbahnhof, die Fußgängerzone und Industriehallen ausgewählt.

Auf dem Paradeplatz etwa wird bereits am 9. September von Jochen Schambeck aus Karlsruhe eine Litfaßsäule mit bissigen Collagen aus Reisekatalogen unter dem Titel „I feel free“ eingerichtet. Sie zeigen, dass Freiheit höchst relativ und Reisen sehr seltsam anmuten kann.

Wie sehr der Mensch ein Individuum ist, beweist Stan's Café aus Birmingham mit seiner interaktiven Theater-Installation in der Fahrzeughalle des Kooperationspartners Alte Feuerwache. 1560 Kilogramm Reis liegen ab 15. September (jeweils von 12 bis 20 Uhr) bereit, um für jeden Bewohner der Bundesrepublik ein einzelnes Reiskorn auszulegen. Speziell für das Festival hat die britische Künstlergruppe sich durch die Statistik gearbeitet, um Verhältnismäßigkeiten wie Arbeitslose oder Millionäre in der Stadt Mannheim mithilfe der Reiskörner darzustellen. Vier Tage lang werden die Performer dabei auf die Interessen der Besucher eingehen. Eine Alternative zum Wahlabend vor dem Fernseher könnte der Besuch dieser Perfomance am 18. September sein, denn dann werden, wenn gewünscht, die Hochrechnungen „ausgewogen“. Bereits beim diesjährigen Treffen „Theater der Welt“ in Stuttgart waren die Besucher von dem Reiskorn-Projekt fasziniert.

Volker Gerling wird in der Innenstadt auf die Passanten zugehen und sein Daumenkino vorführen. Stets auf der Suche nach „Momenten des Wahren und Wesentlichen“, wird er einfühlsame Porträts von Menschen und Orten vorführen. Am 17. und 21. 9. präsentiert er seine Fotos als großen Daumenkino-Abend mit Livemusik um 20 Uhr im „zeitraum_ex!t“ unter dem Titel: „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“.

Die persönlichen Geschichten von Menschen sind das, was viele am meisten interessiert. Finanziell gefördert von der BASF und der MVV, dem Kulturamt der Stadt Mannheim und der Firma Müller Druck beschränkt sich das Festival nicht nur auf die vielen (abenteuerlichen) Facetten des „freiwilligen“ Reisens in Form von Tourismus und Kunst, sondern es schlägt auch die nachdenklichen Töne an, wenn es um das „unfreiwillige“ Reisen von Menschen auf der Flucht (durch Vertreibung oder Hungersnöte) geht. Gabi Schaffner aus Hamburg zeigt mit ihrer Rauminstallation „Déjà-Vues und Audiographien“ im Tunnelgewölbe „Q3 77“ eine be-greifbare Ansammlung von 3000 Karten mit Abbildungen von Flüchtlingen.

Die Phantasie auf Reisen indes schickt das „Théâtre du Radeau“ aus Frankreich, das nach vielen Jahren wieder in Deutschland zu Gast ist. Mit Licht und Schatten, dem Raum, ungewöhnlichen Klangbildern und Bewegungsformationen fordert es in seinem neuen Projekt „Coda“ die eigene Wahrnehmung und Assoziationsbereitschaft immer wieder aufs Neue heraus. Es wird schon jetzt als Highlight gehandelt, doch auch die übrigen Projekte sind äußerst vielversprechend.