In Hauptbahnhof, Hotel und Wohnung
Das Kunst-Festival "Wunder der Prärie" fand vier Tage lang an ungewöhnlichen Orten in Mannheim statt
Veranstaltung
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Von unserer Mitarbeiterin Heike Marx
Vier Tage lang blühte in Mannheim das "Wunder der Prärie", das etwas andere Festival von Zeitraum-Exit. Die Grenzen zwischen hoher und profaner Kunst, zwischen den Kunstgattungen, zwischen öffentlichen und privaten Räumen, zwischen Kunst und Gesellschaft, zwischen Insidern und den Anderen will es durchlässig machen. Das Kunst-Festival stellt gewöhnliche Fragen, die sonst keiner stellt, wie im Vorjahr "Do you understand?", und sucht nach Antworten aus Bildern, Assoziationen, Gefühlen, die manchmal sonderbar sind. "Zu Hause" war diesmal das Thema.
Schauplatz öffentlicher Raum, Halle im Mannheimer Hauptbahnhof. Reisende, die sich die Wartezeit verkürzen, Passanten, die neugierig werden, Leute, die eigens gekommen sind, Senioren, Eltern mit Kindern, junge Paare, Einzelgänger, ein Schwarm Kinder, der jeden Tag kommt - alle stecken konzentriert und eifrig winzige Plastikteile in handtellergroße Gitterquadrate. Gleiches Tun schafft Nähe. Man wird bekannt miteinander, gehört für eine Weile zusammen; das Podest, auf dem sie sitzen, wird eine heimelige Insel im geschäftigen anonymen Getriebe des Bahnhofs. Und dabei wuchs ein drei Meter hohes Bild des Wasserturms.
Exklusiverer Schauplatz: Holiday Inn in N6. Auf Sesseln und Sitzkissen verfolgt ein überwiegend junges Publikum eine Comedy-Live-Show über vier Bildschirme. Sie geben permanent Einblick in vier Hotelzimmer, wo sich vier gewiefte Erzkomödianten, jeder für sich allein und kreuzfidel, durch die Nacht quasseln, räkeln, mimen. Wie sie ohne Kontakt untereinander perfekt abgestimmt singen und tanzen, ist technisch große Klasse und spannender als eine Fernsehshow.
All dies war aber nur schmückendes Beiwerk. Das Eigentliche waren kleine individuelle Geschichten, zu deren Verwirklichung die Akteure die Hilfe der Zuschauer anriefen. Manchmal nur, um etwas über die da unten zu erfahren, ob sie sich gut fühlten und ihnen die Drinks nicht ausgingen. Dann schrillte ein inmitten der Zuschauer aufgestelltes Telefon, bis jemand herbei eilte, um sich auf einen Chat einzulassen. Einer endete mit einer Einladung aufs Zimmer, wo Berit sich den Anrufer als ihren Ex-Lover Florian "zu einem letzten Tanz" vorstellen wollte. Lässt er mich hängen, bangte sie. Er kam! Sean suchte Hände ringend nach einem Banker, um mit seiner Kunst-Galerie endlich die erhofften Millionen zu machen. Der kam und bot ihm einen Kredit an, statt neun Millionen aber nur neun Euro. Sean schluckte daran noch eine Weile mit vielen Krawatten aus seinem Improvisationsrepertoire. "Gob Quad" aus Berlin hat's drauf! Eine sehenswerte Truppe!
Der privateste Ort ist die Wohnung. Kann ein Künstler eine fremde Wohnung zum Rahmen einer Installation machen? Und kann man die dann besichtigen, als wäre sie in einem Museum? Auf ein Rundschreiben im Wohnviertel, in dem Zeitraum/Exit liegt, hatten sich vier Wohnungseigner gemeldet. Neun geführte Rundgänge wurden angeboten; statt bis zu fünf Teilnehmern kamen bis zu 18. In der relativ sparsam möblierten Wohnung eins hatte sich Silke Kästner ein Haus aus Karton auf dem Balkon gebaut. In der voll gestopften Wohnung zwei hatte sich Michael Göring mit Eigen- und Umbauten, sowie mitgebrachten Objekten zwischen die Möbel gedrängt. In Wohnung drei konnte man bequem fernsehen. Es lief "Tote in zwei Formen" von Urslé von Mathilde. Lustiger ging es in der Küche zu, wo Asli Sungu eine Küchenzeile auf eine freie Wand projiziert hatte. Mit Gepolter krachte das Regal herunter - und stieg mit allem Geschirr wieder auf. Wohnung vier war noch nicht bezogen, für Gerhard Benz die Gelegenheit, sie in eine museale Rauminstallation zu verwandeln. Alle Türen waren mit Sandsäcken (mit leichtem Papier gefüllt) zugebaut. Durch Belüftungsschlitze sah man manchmal in den dahinter liegenden Raum, immer auf einen Video. Rund um zwei bizarre fragile Artefakte in Entree und Gang flimmerten Videos von allen Seiten.
Irgendwo zwischen privat und öffentlich liegen Ausstellungsräume wie die von Zeitraum/Exit. Zwei davon waren durch eine dreigliedrige Video-Installation und eine Wohnlaube mit dem Video eines nach innen gerichteteten Außenfensters (von Kooperation Privat, Berlin) ziemlich karg möbliert. Den anderen Raum füllte die Japanerin "anti-cool" mit stundenlangen Fitness-Programmen gegen unerwünschte Pfunde.
Hina Strüver saß in einem Pferch im Innenhof so unbeweglich, als sei sie selbst ein Exponat, und starrte auf ein handygroßes Gerät in ihrer Hand. Alles war weiß: das geschredderte Papier auf dem Boden, die Kästen und das Geschirr darin, ein kitschiges Brünnchen und drei lebendige Hühner. Auch die Akteurin selbst war weiß und kam mit Raumanzug und riesigem Helm offenbar von einem anderen Stern. Was will die Künstlerin damit? So fragt man nicht, man wundert sich über die Wunder der Prärie.