Körperliche Grenzgänge zwischen den Genres

PERFORMANCE: Zum sechsten Mal veranstaltet das Büro für Kunst Zeitraum Exit in Mannheim das Festival "Frisch eingetroffen"

Veranstaltung

Zeitung

Mannheimer Morgen

"Frisch eingetroffen" sind sie allesamt, diese jungen nationalen und internationalen Künstler: Auf dem Tableau der Kunst, in der experimentellen jungen Szene und in den neuen Hinterhofräumlichkeiten des Mannheimer Büros für Kunst Zeitraum Exit. Keine Schublade findet genügend Platz, die an zwei Abenden gezeigten Arbeiten zu fassen, in keiner Genrebezeichnung gehen sie wirklich auf - das Festival "Frisch eingetroffen" bot zum sechsten Mal jene Plattform für junge Darstellende Kunst, die Aufmerksamkeit auf die Grenzgänge zwischen den Disziplinen lenkt.

Das "Zwischen" als Motiv stellt auch die Konstante dar, gemeinsam mit der Fokussierung auf den Körper als Bedeutungsträger, die den gezeigten performativen und theatralen Werken gemeinsam ist. Die Eröffnungsperformance "Queen" der Schweizerin Stefanie Grubenmann lotet gelungen das ganze Repertoire menschlicher Emotionen aus. Sie offenbart deren Künstlichkeit, wenn sie unter dem Blick der Öffentlichkeit zur Übertreibung gebracht werden: Exaltiertes Lachen, das in Hysterie umschlägt, der davon bewegte Atem keucht sich in orgastische Ekstase, während das Hecheln die Grenze zum Gesang sucht und die Geschlechtsorgane unter dem Tüllkleid signalrot erglühen.

Die Kompanie "Verwöhnte Kinder" bewegt sich dann mit dem Theaterstück "Drei Girls" (Regie: Mira Bussemer) an der Schnittstelle von Spiel und Gesang. Basierend auf Werner Fritschs Monolog "Nico. Sphinx aus Eis", der Tagebuchaufzeichnungen und Gedichte der Velvet-Underground-Sängerin und Warhol-Muse Nico mit fiktionalen Gedankenströmen zu einem Stück verdichtet, das Nicos Grenzgang zwischen Drogenrausch und allgegenwärtiger Todesnähe nachzeichnet, erarbeitet die Kompanie eine verstörende Inszenierung, die sich an der Peripherie von Rock und Theater befindet. Eva Kessler macht das einstündige Stück mit körperlicher Präsenz und eindringlichen Songinterpretationen zu einem Highlight des Festivals. Esther Ernsts Performance nach der Oper "Carmen", in der sie balancierend auf zwei Pflastersteinen versucht, ihrem nackten Körper ein Kleid auf den Leib zu stricken, bildet den Abschluss des ersten Tages.

Auch der zweite Abend stellt den menschlichen Körper in den Fokus der Betrachtung: "Ein-Drücke" (Stefanie Sachsenmaier) visualisiert den Leib und seine Bewegungen im Raum, auf der Stelle tänzelnd, den Arm ausstreckend oder das Gesicht zum stummen Schrei erstarrt präsentiert er sich als Material, auf dem die Zeit ihre eindrucksvollen Spuren hinterlässt. In der tänzerischen Performance "Parlez moi d'amour" konzentrieren sich Paloma Calle und Claudia Faci Garcia auf den Körper als Bildfläche, auf den sie Verwundungen in eine Karte des Schmerzes einzeichnen und damit körperliche und seelische Versehrtheit sichtbar machen. Zuletzt widmet sich die italienische Kompanie MaddAI in "acerbo"("unreif") ebenfalls dem Körper, spielt mit dessen kontrollierten Unkontrollierbarkeit, seinen Ticks und charakterisiert ihn als etwas zwischen Gelingen und Misslingen Changierendes, das versucht, scheitert und dennoch weiter zuckt.
Nora Binder

www.morgenweb.de