Neues von der deutschen Postdramatik

Schauspiel/Performance: zeitraumexit zeigt bei 'Wilsonstraße' Arbeiten des von HEiner Goebbels geleiteten Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen

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Mannheimer Morgen - Kultur

Von unserem Mitarbeiter Dennis Baranski

Bedächtig wählt Anna Schewelew eng beschriftete Karteikarten aus einem hölzernen Kästchen und liest. Tragische Eckpunkte einer sowjetischen Familiengeschichte finden sich darin sorgsam abgelegt und rücken den Erinnerungsakt der unbeteiligt Lesenden in die Perspektive eines gesichtslosen Schreibtischtäters.Gemeinsam mit Fabian Offert entstand die zweiteilige Arbeit "1937", die zum Auftakt des Kurzfestivals "Wilsonstraße" im Mannheimer Kulturzentrum Zeitraumexit nachdenklich stimmte. Heiner Goebbels, Leiter des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, kuratierte aus den Arbeiten seines jüngsten Abschlussjahrgangs eine vielfältige Werkschau für das Mannheimer Publikum.

Schmaler Hoffnungsschimmer

Angelehnt an Tony Smiths Skulptur "Die", führt eine Installation die schwer zugängliche Eröffnungsperformance fort. Durch gleißendes Licht in zwei Hälften geteilt, gibt sich der schwarze Kubus hier versöhnlicher und hinterlässt einen schmalen Hoffnungsschimmer auf dem Boden des düsteren Raumes.Hell erleuchtet ist dagegen das kitschige Winteridyll von "Sehnsucht hinter Masken", welches man durch den Backstage-Bereich, vorbei an der glanzlosen Theaterwirklichkeit, erreicht. Erfrischend frech suchen dort Sylvia Lutz und Kim Willems nach dem richtigen (Künstler-) Leben im Falschen. Artig bedanken sie sich für Ausstattung und Kostüme, denn nichts von alldem gehört ihnen. Alles ist geliehen, aufgesetzt oder einstudiert - auf der Bühne, wie im Alltag. Zwischen naiven Reflexionen und bedeutungsschweren Tiraden gelingt ihnen eine hinreißend komische Abrechnung mit dem Kulturbetrieb.

Hochästhetischer Abschluss

Das Tableau vivant feiern Lina Hermsdorf, Christopher Felix-Hahn und Jan Rohwedder mit "Dance and Short Fiction". Vom Diskobol des Myron bis hin zur typisierten Werbefotographie reichen die Evolutionsschritte ihrer Standbild-Choreographie, die sich zu immer wieder neuen Geschichten fügt und dem anregenden Abend einen hochästhetischen Abschluss beschert.

Wilsonstraße 'Dance & Short fiction'  Foto: EMPL