Schrei in der Stille

Die Performance "Holy Hearts" bei zeitraumexit

Veranstaltung

Zeitung

Die Rheinpfalz

Von Heike Marx

 

"Holy Hearts" ist die erste Performance von Wolfgang Sautermeister, in der dieser nicht selbst auftritt. Sechs Menschen führen ihre unterschiedlichen Individualitäten in gleichen existentiellen Situationen vor. Die Darbietung bei zeitraumexit in Mannheim entwickelt schlichte szenische Bilder von atmosphärischer Intensität vor dem Hintergrund von Kirchenliedern, klassischer Musik und Rock.

 

Ein Schrei ist ein Laut, ein Bild, ein Symbol; er ist ein allumfassendes Motiv in der abendländischen Kultur. Für alle gleich, ist er doch für jeden anders. Ein Schrei ist die Achse, um die herum Sautermeister die Szenen gruppiert. Jeder Akteuer erzählt dazu seinen persönlichen Text und katapultiert sich durch einen Schrei aus diesem heraus.

Simone Isenmann spricht von der Luft, die sie nicht mehr atmen kann und die in den Bergen viel besser war. Sie ist eine sportliche Macherin, geschickt im passgenauen Platzieren von Klebebändern, die bei Wolfgang Sautermeister und in der Performance-Kunst allgemein eine Rolle spielen.

Zutraulich und leutselig überspielt Danny Lohmen seine Behinderung. Er spricht angestrengt vom eingespielten Band und locker kommunikativ ins Mikrofon. Sein Schrei ist mutwillig wie bei einem spielenden Kind. In einer eigenen Komposition zeigt er im Gesang zur Elektroorgel sein beachtliches musikalisches Talent. Stephan Wenzel erzählt vom alltäglichen Stress, aus dem er sich manchmal herausschreien möchte. Der Student und Familienvater wirkt wie einer, der es allen Recht machen will und unauffällig Hand anlegt.

Axel Ohnesorge und Silvia Szabo inszenieren sich beim Auflegen von Schallplatten oder beim Einrichten von Licht und Mikrophon. Er ist Doktor der Philosophie, wirkt wie ein zerstreuter Professor, sagt gar nichts und stößt seinen Schrei in die Stille. Sie studiert an der Freien Akademie Mannheim, sieht aus wie ein kunterbunter Paradiesvogel und murmelt Unverständliches, ehe sie losschreit. Zusammen bilden die Beiden ein skurriles Paar, das sich mit bewegungsloser Miene gegenseitig hochhebt, so unendlich lange, dass der Zuschauer meint, das Nachgeben der Muskeln bei sich selbst zu spüren.

Die für Performance-Kunst charakteristischen Stilmittel Langsamkeit und Stillstand setzt Sautermeister ausgefeilt ein, während er in seinen eigenen Performances nur wenig verlangsamt mit Objekten hantiert.

Johannes Duve im Rollstuhl macht eine lange Pause, bevor er schreit, und vor der Pause eine verschlüsselte Andeutung, wie es vor dem Rollstuhl war. Er führt vor, was er dennoch kann: Klebebänder in korrekten Abständen an der Wand anbringen und sich auf Händen und Gesäß über den Boden schieben.

Sie alle sind "holy hearts", einmalig in ihrer existentiellen Stärke und Verletzlichkeit, wie in dem Song von Allan Ginsberg. Als ein Altmeister, der immer noch zur Avantgarde zählenden Performance-Kunst hat Sautermeister Lehraufträge an den Hochschulen von Gießen und Heidelberg. In Gießen hat er mit Studenten eine erste Version von "Holy Hearts" gemacht. Die Akteure der Mannheimer Version suchte er unter Freunden, Bekannten und Studenten.