Schrubben und Gähnen

Das Performance-Festival "frisch eingetroffen" bei zeitraumexit in Mannheim

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Die Rheinpfalz

Jedes Jahr im Sommer lädt das Mannheimer Künstlerhaus zeitraumexit den künstlerischen Nachwuchs ein, sich und seine Arbeiten zu präsentieren. „Frisch eingetroffen“ hieß das Performance-, Tanz und Theater-Festival am Wochenende. Es war eine Plattform für sieben Produktionen. Die Künstler nutzten sie teilweise bis zur totalen Erschöpfung – ihrer eigenen und der des Publikums.

In einem Interview mit der Zeitung „taz“ hat Marina Abramovic, die Grande Dame der Performance, jüngst erklärt,warum diese Kunst gerade jetzt wieder so angesagt ist: „Jedesmal, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, werden die Performer wieder lebendig. Performen kostet eben lächerlich wenig, fast nichts.“

Silvia Szabo musste ein paar Euro für einen Schrubber und einen Blecheimer ausgeben. Das waren die Utensilien ihrer Performance „Weg gewischt“. Im ersten Teil schrubbte die Frau mit der auffälligen Tätowierung am Unterschenkel mit Hingabe die Fliesen in dem neongrell beleuchteten Raum. Ihr ausgiebiges Schrubben löste in den Zuschauern zwei Fragen aus, die sich in ihren Gesichtern spiegelten: Wenn sie den ganzen Abend putzt, hätte man dann nicht etwas Sinnvolleres mit der Zeit anfangen können, als ihr dabei zuzugucken?

Und: Wenn es ihr so viel Spaß zu machen scheint, warum kommt sie dann nicht mal zu mir nach Hause, da wäre auch einiges zu tun? Tatsächlich hörte sie aber irgendwann auf und stellte sich auf die Zehenspitzen. So lange, bis sie schweißüberströmt nicht mehr konnte. Das war alles, was passierte. Das Interessante an dieser Aktion war es, den Zuschauern zuzuschauen, die zuerst im Halbkreis um Szabo herumstanden und dann nach und nach auf dem Fußboden Platz nahmen. Ihre Mienen wechselten zwischen belustigt, irritiert, gelangweilt und zunehmend auch aggressiv. Es wäre wirklich schön gewesen, wenn jemand aufgestanden wäre und die Frage in den Raum gerufen hätte, was der ganze Quatsch eigentlich soll. Eine klassische Tanz-Performance lieferten Kristina Veit und Pierre- Yves Diacon. Auf einem nach ausgefeiltem Lichtkonzept beleuchtetenBoden und zu Live-Musik spielten sie das alte, prickelnde Spiel von Nähe und Distanz. Wenn er den nervösen Part hatte, war sie das beruhigende Element, und nur in ganz seltenen Momenten war ein Gleichklang zu spüren, in dem sofort mitschwang:Ihr könnt euch niemals sicher sein. Im Publikum hatte man ständig das Gefühl eines nahenden Endes der Darbietung. Als der Schlusspunkt des Finales dann tatsächlich erreicht war, traute sich erst einmal zwei Minuten lang niemand zu klatschen.

Mit Sehgewohnheiten zu brechen und keine klassische Kunst zu bieten, die man nett konsumieren kann, ist etwas, was dem zum achten Mal veranstalteten Festival „frisch eingetroffen“ jedes Jahr wieder gelingt. Das ganze Wochenende über waren Produktionen zu sehen wie die der Schweizerin Stefanie Grubenmann über das Gähnen, wie die Video-Tanz-Performance „A Story about a Book“ von Yurie Ido und Tetsuya Hori, wie „Japan“ von Simon Tanguy, der seinen Körper in den Zustand der Agonie versetzt und dabei eine unglaubliche poetische Kraft entfaltet. Das International Theatre School Festival in Amsterdam hat er damit gewonnen und in Mannheim für einen krönenden Abschluss gesorgt.

 

VON NICOLE HESS