Soziale Wunden auf der Haut

Kunst: Ihre Arbeiten sind sonst in Paris oder New York zu sehen - jetzt zeigt zeitraumexit das Duo Hutter/Mwangi dort, wo es lebt

Zeitung

Mannheimer Morgen

Von unserem Redaktionsmitglied Annika Wind

 

Viele rümpfen angewidert die Nase, aber sie steigt direkt hinein. Ingrid Mwangi bahnt sich den Weg durch das brackige Wasser, das wie ein breiter Bach durch die Straße zieht. Eine Wasserleitung ist gebrochen, in einem Viertel der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Und ausgerechnet sie steigt in den braunen Strom, den alle meiden. Ausgerechnet diese Frau, die auf den ersten Blick schon fremd aussieht. Die andere Kleidung trägt als die Menschen im Viertel - und eine hellere Hautfarbe hat. Ist sie vielleicht verrückt?

Fremdsein und Schmerz

"So beginnt es immer", sagt Ingrid Mwangi in einer Ausstellung bei zeitraumexit in Mannheim, in der sie Performances wie diese auf Video dokumentiert. Die Menschen auf den Straßen sind irritiert. Deshalb bleiben sie stehen und schauen. Sie werden Teil der Kunst. Das funktioniert im Prinzip überall auf der Welt. Doch die Werke der Ludwigshafenerin und ihres Partners Robert Hutter wären nicht so prägnant, würden sie sich darauf verlassen. Das Duo kreist um Themen wie Fremdsein und Schmerz, um soziale Wunden. Und auch wenn sie sehr spontan auf Orte reagieren und sich dabei nicht auf ein Land festlegen lassen - immer wieder kehren sie für ihre Arbeit nach Afrika zurück. Hier wurde Ingrid Mwangi geboren, hier stellt sie mit Robert Hutter aus - aber auch in New York, Tel Aviv, 2007 auf der Biennale in Venedig, zuletzt in Atlanta. 2004 beteiligten sich 88 Künstler aus 25 afrikanischen Ländern an der Ausstellung 'Afrika Remix', die zeitgenössische Kunst des Kontinents präsentierte - darunter auch von MwangiHutter. Vom Süsseldorfer Museum Kunst Palast tourte sie ins Pariser Centre Pompidou und nach Tokio - doch dort, wo beide leben, in der Rhein-Neckar-Region, wurden sie umfassend noch nie präsentiert. Das holt nun Wolfgang Sautermeister nach, der bei zeitraumexit eine bemerkenswerte Einzelschau mit neuen Arbeiten zusammenstellte.

In einem dunklen Raum dem 'Kubus' graben sich Kinder auf eindrucksvollen Videoinseln in die Erde hinein. 'Paradise: The Hidden Land' heißt die Ausstellung, in der der verheißungsvolle Ort ewiger Glückseligkeit zwar fern bleibt, aber zumindest in Sequenzen zu erahnen ist. Ein Film zeigt Kinder, die gefallene Bäume wieder aufrichten. Es sind die eigenen, die immer wieder auch bei Performances einbezogen werden. Wie sehr dürfen sie Teil der eigenen Arbeiten werden? Ingrid Mwangi glaubt daran, dass die Auseinandersetzung mit der Kunst auch der Familie dienlich ist. Das Duo geht sogar weiter: In den 90er Jahren hatten sich beide an der Kunstakademie in Saarbrücken kennengelernt. Doch der Beschluss, eins zu werden, sollte nicht nur privat gelten, sondern auch beruflich: Heute treten sie als IngridMwangiRobertHutter aus. Sie haben ihre Namen und Viten miteinander verwoben. "Wir sind ein Künstler in zwei Körpern", sagt Ingrid Mwangi. Und sie lächelt dabei, denn verschiedene Meinungen schließt solch ein Konstrukt natürlich nicht aus. "Aber alles, was wir am Ende zeigen, wurde von beiden so gewollt."

 

Afrika versinkt in Buchstaben

Ihre Werke konfrontieren mit manchmal stillen, aber zweideutigen Momentaufnahmen. Die Ambivalenz macht diese Kunst so sehenswert: Ein meterhohes Foto zeigt die brüchige Fläche eines ausgetrockneten Sees, die zum afrikanischen Kontinent verfließt. Aus ihm treten Sätze auf dem Boden weit in den Raum hinein. Fatalistisches, Hoffnungsvolles, Unleserliches. Das Foto 'Homes for Rent & Homes for Sale' zeigt eine der Lehmhütten des weltgrößten Flüchtlingscamps in Kenia. Ein höllischer Ort unter der brennenden Sonne? Oder ein himmlischer, der für Sicherheit und Verpflegung steht? Nicht selten wird der eigene Körper thematisiert, die Haut als Leinwand, als Projektionsfläche dargeboten. Sie trägt Schriftzüge als Wundmale und die Konflikte der Menschheit nach außen. In einem Video lassen sich schwarze Männer auf einen Touristen am Strand plumpsen. Am Ende ist der Weiße erschöpft - aber auch, und das wohl nicht nur optisch, um einiges bereichert. Ein schönes Bild für ein ewiges Klischee: die unbegründete Angst vorm schwarzen Mann.

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Klischees humorvoll beschrieben.