Spannende Suche nach der verlorenen Kindheit

Schauspiel: 'Infanten' von Jolika Sudermann bei Zeitraumexit

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Mannheimer Morgen

"Look Mummy No Hands" heißt ein Chanson der englischen Songwriterin und Kabarettistin Dillie Keane, das von den ersten stolzen Schritten allein in der Welt erzählt, dem Wachsen und Erkennen des Älterwerdens und dem späten leisen Blick zurück. Zurück zu den Tagen, als die Leichtfüßigkeit der Standard war und sorgenlos ein Wort, das man mit einem Achselzucken beiseite gewischt hat. Diese Zeit des ewigen "ersten Mal" - der erste Schrei, das erste halbe Wort, das erste Mal aufrecht stehen - hat sich Jolika Sudermann für ihre jüngste Produktion als Thema ausgesucht.

"Infanten" heißt passenderweise die Performance, die Hilde Labadie und Dwayne Toemere als Darsteller zurück auf Anfang schickt. Und der beginnt stumm. Mit großen Augen sucht Hilde Labadie nach dem Ton. Den Lauten. Aber es will nicht passieren. In einer Mischung aus Frustration, Entsetzen und Hilflosigkeit fällt die Spielerin in ein herzzerreißend grelles Schreien. Ein Plärren, das sich lange hält, kurz durch Schlucken und Tonlosigkeit unterbrochen wird, auch von einem Lachen, aber dann doch mit Nachdruck wiederkehrt. Ein immens starker Auftakt für eine Bilderfahrt durch jene Phase des Sprechen- und Laufenlernens, die einen in der nächsten Dreiviertelstunde in die kindliche Welt zwischen eigenen Entdeckungen und erwachsenen Erwartungen führt.

Mit stolzem Blick wird präsentiert, was man gerade herausgefunden hat, vorgetragen, was die Stimmbänder einem just beschert haben oder wo einen die Beine soeben hingeschoben haben - das Publikum dabei immer fest im Visier und im Griff. Das lässt einen nicht so schnell los, wenn hier zwei Erwachsene so präzise zu Infanten werden, alles Gelernte und Erfahrene aufgeben und damit auch weite Teile der Selbstkontrolle, die doch als so erwachsen gilt.
Was prägt uns?

Neben der Recherche, die zu dieser dichten Bild- und Formsprache führt, steht die Suche nach dieser für die meisten von uns verlorenen Zeit als Aufgabe im Raum. Und das nicht aus pädagogischem oder sozialwissenschaftlichem Interesse, auch nicht des putzigen Staunens wegen. Sudermanns Performance stellt die Frage nach den Abhängigkeiten voneinander, den Impulsen, die uns prägen und wachsen lassen. Sie öffnet dabei einen Raum, in dem Hilflosigkeit und Ohnmacht keine Schwächen sind, Unbedarftheit und Unwissen kein gesellschaftliches Risiko und das eigene Leben eine ständige Neuigkeit. Darüber sollte man doch mal öfter nachdenken. bema

INFANTEN Foto: Peter Empl