Starke Töne gegen TTIP

Protest: "Kulturspaziergang" von Ludwigshafen nach Mannheim setzt mit kreativen Aktione ein Zeichen nicht nur für den Wert der Kunst

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Mannheimer Morgen

Da sind sie wieder, der kleine Bürger und der übermächtige Diplomat oder Staatsdiener, der eine an der Kette des andern. Beide sind kugelrund in ihren Ballon-Kostümen. Der Bürger in Rot wirkt putzig, der schwarze Staat gruselig. Darin stecken Martin Wegner, Vorsitzender der SPD Vorderpfalz, und seine Tochter. Sie stehen auf dem Mannheimer Schillerplatz, über ihnen zeigt der Dichter in die Ferne, während hinter ihnen das Kleine Elektronische Weltorchester "Die im Dunkeln sieht man nicht" spielt. Vater und Tochter stecken zwar auch im Dunkeln, sind aber gut sichtbar - und das ist auch der Sinn der Aktion: Als Teilnehmer des Kulturspaziergangs von Ludwigshafen nach Mannheim wollen sie ihren Protest gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP kundtun.


Rund 150 Aktive und Unterstützer der Kulturszene aus der Region haben sich gestern Abend unter dem Motto "Tag gegen TTIP - Schützt die bedrohte(n) Art(en)" auf dem Berliner Platz versammelt, um gemeinsam nach Mannheim zu spazieren und an verschiedenen Stationen auf mögliche Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf den Kultursektor und alle anderen Lebensbereiche aufmerksam zu machen. Die Idee zu der Aktion hatten die Mannheimer Künstlergruppe Zeitraumexit und der Verein Kultur Rhein-Neckar aus Ludwigshafen gemeinsam entwickelt. "Es gibt schon genug Bereiche, in denen Kunst aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten her bewertet wird - da brauchen wir nicht noch TTIP", sagt Gabriele Oßwald, die künstlerische Leiterin bei Zeitraumexit. Sollte das Freihandelsabkommen auch die Kultur mit einschließen, seien etwa die öffentliche Förderung kultureller Institutionen und Projekte oder der Fortbildungsmarkt in Gefahr.

Allgemeines Misstrauen
Ähnlich sehen das auch die anderen Teilnehmer. Peter Hefner, Vorstandsmitglied bei Kultur Rhein-Neckar, nennt als Schlagwort die Buchpreisbindung: "Wenn die in Deutschland fällt, dann gehen die Buchhandlungen komplett kaputt." Ganz allgemein sei er aber misstrauisch, was die Motivationen hinter TTIP angeht: "Die Initiative geht von der Wirtschaft aus, aber die großen Unternehmen äußern sich nicht." Seinem Unmut hat er auf Schildern Luft gemacht, die er in einer stummen Performance auf dem Berliner Platz im Wechsel mit Peer Damm-inger von der Kids Theater Company in die Luft hält - "TTIP schafft Handelshemmnisse ab". Lauten Beifall gibt's für den leisen Auftritt, dann sorgt die Band Selbsthilfegruppe für ein Kontrastprogramm.

Überhaupt gibt es viel Musik und viel gute Laune auf diesem Kulturspaziergang. Ihre ernsten Bedenken haben die Aktiven in ein unterhaltsames Programm verwandelt. Anne Dell und ihre Mitstreiterinnen von KulturQuer - QuerKultur etwa haben Volkslieder wie "Der Kuckuck und der Esel" umgetextet und singen lauthals in Lautsprecher: "Kultur ist keine Ware, die man verscherbeln kann ..."
Lautstark und fröhlich zieht die Gruppe über die Konrad-Adenauer-Brücke nach Mannheim. Auf dem Universitätsgelände lösen sich plötzlich einige junge Teilnehmer aus der Menge, schreitet in Paaren über den Schlosshof, fallen zu Boden. Wie bereits auf dem Berliner Platz zeigen Studenten der Theaterakademie eine Performance, deren Interpretation jedem selbst überlassen bleibt. "TTIP - Der Fall der Kultur" läge als Titel aber nahe. "TTIP ist ein trojanisches Pferd", sagt Mario Jaillet, der Leiter der Theaterakademie. "Viele unserer Schüler müssen sich bereits auf dem freien Markt durchsetzen, und wenn sich das noch verschärfen würde, würde sich wohl kaum noch jemand zum Schauspieler ausbilden lassen", sagt er.
Auf dem Schillerplatz klingt der Abend aus. Kabarettist Einhart Klucke macht dort bissige Witze über Genmais und - natürlich - das Chlorhühnchen, dann spielen Bernd Köhler und das Kleine Elektronische Weltorchester. Zwar ohne Elektrik, weil die Technik streikt, dafür aber mit viel Aussage: "Die Gedanken sind frei."

Simone Sohl