Streifen mit Niveau

zeitraum_ex!t stellt Reportage-Comics aus

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Eine Comic-Ausstellung ohne Micky Mäuse und Superhelden präsentiert das Büro für Kunst ‚zeitraum_ex!t’ derzeit in den Räumen des ehemaligen Mannheimer Gesundheitsamts. Zu sehen ist eine teilweise sehr persönliche Mischung aus Skizzen, Reisetagebüchern, Momentaufnahmen und Reflexionen der Künstler Pierre Thomé, Oliver Grajewski, Noyau, Kai Pfeiffer und der Künstlerin Ulli Lust.

„Travelling here around?” – “No! We are invited sto stay here by this Comic Festival!” – “Ah! Bitterkomix!” “Hee …. Yes!” (They are so fucking famous!!) – Dieser Dialog zwischen zwei Unbekannten in einer Bar stammt aus der Feder des Züricher Zeichners Yves Noyau, dessen Reiseerzählungen unter anderem in Wien, Tokyo, südafrika und Instanbul entstanden sind. Seine dokumentarische Illustration belegt zugleich, wie weit die Szene sich von den klassischen „komischen Streifen“ entfernt hat. In den Hochburgen des Comics Belgien, Frankreich, Nordamerika und Kanada läst sich schon seit einigen Jahren eine Tendenz zu biografischen und gesellschaftskritischen Themen beobachten.

Formal am klassischsten mutet in der hochkarätig besetzten Ausstellung noch die Arbeit „Wer bleibt – Comicreportage aus Halle-Neustadt“ von Ulli Lust an. Die Zeichnungen der Berlinerin beruhen auf ausführlichen journalistischen Recherchen, die wie ihre Reportage über Halle-Neustadt auch ganz alltägliche Beobachtungen einschließen.

Vom Alltag in Halle-Neustadt bis zur Chinareise

„Das uramerikanischste Beinkleid von allen, die Jeans, hat Neustadt ganz und gar erobert. Die Röhrenjeans, die gerade in Berlin und London so en vogue ist, tragen hier die 30- bis 50-jährigen gerne mit Jeansjacke, was immer ein wenig verwegen wirkt“, lautet beispielsweise der Text zum Bild eines Kinderwagen schiebenden Pärchens. Fast schon malerische Qualitäten haben dagegen die Tuschearbeiten von Pierre Thomé, die auf einer Chinareise entstanden sind. Mit leichtem kalligraphischen Strich skizziert der Leiter des Studienbereiches Illustration an der Luzerner Hochschule für Gestaltung und Kunst seine Eindrücke.

Im Zeitalter moderner Medientechnologie verlassen die oft mit Chiffren arbeitenden Zeichnungen auch schon mal das konventionelle weiße Blatt. „Die Natur ist nicht schlecht, nur voll“ titelte beispielsweise Oliver Grajewski seine wandfüllende Projektion, in denen er die Mythen der Alltagskultur und Werbung aufgreift. Seltsame Monster, „Kackmännchen“, Castor-Gegner, stürzende Pferde und Schlagersänger bevölkern die über 100 Sequenzen umfassende Serie. Grajewski ist Absolvent der Berliner Hochschule für Bildende Künste und Herausgeber der Heftserie „Tigerboy“. Außerdem veröffentlicht er in der Süddeutschen Zeitung, der Berliner Zeitung und der taz.

Der Berliner Zeichner Kai Pfeiffer ist einer der Pioniere der Comicreportage im deutschen Sprachraum. Auf kitschig rosa eingefärbtem Hintergrund tummeln sich seine Kaffeetassen, Kellner und skurrilen Gäste wie in einem typischen Wiener Kaffeehaus. Sein Stimmungsbild hat Pfeiffer mit O-Tönen unterlegt. Als die ersten Gäste beim Wein einschlafen und übermüdete Kellner zu gähnen beginnen, wird auch der Sound immer mechanischer und drängender: Die plüschige Behaglichkeit wird zur klaustrophobischen Beklemmung.

Eva Mayer