NORMAL - Eine Besichtigung des Wahns
Sa 15. Feb / 19:30 Uhr / Tickets
zeitraumexit @ T6/18
Solipreis: 10€ (5€ / 15€ / 25€)
Pandemie, Klimawandel, Kriege, die Steuererklärung, der Verkehrsstau – Krisen über Krisen, und kein Ende in Sicht. Die einen fliehen in den Verschwörungsglauben oder gleich vollends in den Faschismus. Sie sind die Endzeit-Krieger in Tierkostümen, folgen QAnon bis ins Capitol. Sie sind die Aluhut-Trägerinnen, die gegen Chemtrails und Impfzwang demonstrieren. Es sind die Incels, die Reichsbürger, die Kämpfer gegen den »Great Reset« und den »Großen Austausch«. Die anderen halten am gesunden Menschenverstand fest. Sie verteidigen den Experten gegen den Scharlatan, die Vernunft gegen den Wahn. Sie sind fleißig, halten Nationen und Eigentumsordnung für so natürlich, wie dass der Starke den Schwachen besiegen muss. Sie wissen, dass Kollateralschäden nicht schön, aber unvermeidbar sind: Die Hungernden, die Obdachlosen, die Erfrierenden in jedem Winter, die Ertrunkenen im Mittelmeer. An Horoskope glauben sie nur, wenn die ihnen raten zu tun, was die Gesellschaft von den Menschen ohnehin verlangt. Ihre Vernunft ist eine instrumentelle, Vernunft im Dienste der Unvernunft. Es geht nur um das Wie, nicht um das Wofür. Effektivität ersetzt jeden Gedanken an eine menschenfreundliche Einrichtung der Welt. Erlaubt ist selbst im Denken nur, was nützlich ist. Lebenswert ist nur, wer produktiv ist. Normal ist, wer gesund ist und arbeiten kann. Der Weg von Selbstoptimierung zu Eugenik ist kürzer als das Laufband im Fitnessstudio: instrumentell-vernünftig und mörderisch-wahnhaft zugleich. Das ist die Normalität, die die Demokrat*innen verteidigen, auch gegen die Rechten, die für ein neues, noch unmenschlicheres »normal« eintreten. Und alle feiern den normalen Menschen, den schlichten, hart arbeitenden, der von Intellektuellen, Lifestyle-Linken und Eliten verraten wurde – was bloß dem zynischen Zweck dient, die gesellschaftliche Stellung der Subalternen zu verewigen. Überhaupt ist die Normalität, die in jeder Krise als rasch Wiederherzustellende versprochen wird, eine trostlose Hoffnung. Denn der Normalzustand, »dass es so weitergeht«, ist die eigentliche Katastrophe. Auf Bühne und Leinwand besichtigen wir den ganz normalen Wahn und den Wahn der Normalität, das Pathogene im Normalen, und das Irrationale, das aus diesem erwächst. Es wird so witzig, wie Adornos Stahlbäder lustig sind.
Eine Veranstaltung vom Arbeitskreis gegen Antisemitismus und Input.
/englisch
Normal people are healthy and able to work. The journey from self optimization to eugenics is shorter than a treadmill at the gym: instrumentally rational and murderously delusional at the same time. That's the normalcy democrats defend against right-wingers who advocate a new, even more inhuman “normal”. Everyone celebrates the normal person, simple and hard working, who was betrayed by intellectuals, lifestyle left-wingers and elites, which merely serves the cynical purpose of perpetuating the social position of the subaltern. However, normalcy as proposed in times of crisis is a dreary hope. Because the normal condition, “that things will continue like this”, is the real catastrophe.
VITAE
Thomas Ebermann
ist Autor, Publizist und Dramaturg. Er hat jahrelang (gemeinsam mit Rainer Trampert) satirische Lesungen veranstaltet und mittlerweile über 50 literarische Stoffe zu szenischen Lesungen verarbeitet – wie zum Beispiel das Stück »Q« von Luther Blissett. Er ist Autor und Regisseur des Bühnenstücks »Der Firmenhymnenhandel« und Co-Autor von »Der eindimensionale Mensch wird 50«. 2019 bestritt er zwei Abende im Deutschen Schauspielhaus Hamburg unter dem Titel »Thomas Ebermann beleidigt Helmut Schmidt«, bei dem es gar nicht um Helmut Schmidt ging. Für seine Arbeiten wurde Thomas Ebermann im Jahr 2012 vom Auschwitz-Komitee mit dem Hans-Frankenthal-Preis ausgezeichnet.
Thorsten Mense
ist freiberuflicher Soziologe, Journalist, Autor und Filmvorführer. Er schreibt viel, publiziert und hält Vorträge und Workshops zu den Übeln dieser Welt (Deutschland, Nationalismus, Sachsen usw.). Er war lange Zeit Mitglied im Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (FKR) in Leipzig. 2023 erschien sein Buch »Kritik des Nationalismus« (Schmetterling Verlag) in einer überarbeiteten Neuauflage, 2024 hat er zusammen mit Judith Goetz den Sammelband »Rechts, wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus« (Unrast Verlag) herausgegeben. Irgendwann bekam er einmal den Alternativen Medienpreis verliehen. Er hat immer noch nicht viel Ahnung von Theater, gibt sich aber Mühe.
Florian Thamer
ist Theaterwissenschaftler, Theatermacher und Musiker. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, ist Mitbegründer der freien Theatergruppe EGfKA – die sich an der Schnittstelle von Theater, Theorieproduktion und politischem Aktivismus verortet – und experimentiert mit dem offenen Session-Kollektiv Flimm an hybriden Verschmelzungen analoger und digitaler Klangerzeugung. Dazu arbeitet er in verschiedenen freien Theater-Kontexten als Sound- und Videokünstler. Er hat noch nie einen Preis verliehen bekommen.