Alles verschlingende Liebe

Tanzperformance mit Aleesa Cohene, Jared Gradinger und Angela Schubot bei zeitraumexit in Mannheim

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Die Rheinpfalz

„All my holes are theirs“ lautet der Titel einer Tanzperformance von Aleesa Cohene, Jared Gradinger und Angela Schubot, die man nicht so schnell vergisst: Das Gastspiel bei zeitraumexit in Mannheim war außergewöhnlich, intensiv, verstörend. Zwei Personen malträtieren eine dritte mit erotischer Begehrlichkeit und zudringlicher Zuwendung. Die Zwei arbeiten zusammen, die dritte Person ist ihrem Drängen wehrlos ausgeliefert. Das Thema der verschlingenden Liebe ist alt. In unsere Gegenwart egoistischer Beziehungen, die vom geliebten Menschen total Besitz ergreifen wollen, passt es offenbar perfekt. „All my holes are theirs“ ist der zweite Teil eines größeren Projekts „Les petites morts“. Im Klartext bedeutet der etwas mystifizierende Titel: Alles, was ich bin, gehört ihnen. Zuerst sieht man nur Aleesa Cohene, die bewegungslos dasteht wie eine Statue. Sie ist eigentlich bildende Künstlerin mit dem Schwerpunkt Video und Installation. Erstmals wirkt sie hier bei einer Tanzperformance mit. Um diese auszuhalten, muss man vielleicht ein im Leiden gestählter Performance-Künstler sein. Die beiden Tänzer und Choreografen Jared Gradinger und Angela Schubot sind hinter ihr nahezu verborgen. In geduckter Haltung bilden sie mit der Protagonistin einen kompakten Block. Sie drücken und schieben, bis Aleesa Cohene auf die Knie niederbricht. Sie wird nun wie eine willenlose Marionette, wie ein Objekt, vorwärts geschoben, zu Boden gedrückt, wieder hoch gezogen. Er reißt den linken Arm in die Höhe, sie zerrt gleichzeitig am rechten Fuß. Die Bewegungen scheinen behutsam, besonders wenn Hände das geliebte Objekt abtasten, Arme es umschlingen. In Wahrheit sind sie aggressiv und davon besessen, sich das Objekt ihrer Begierde einzuverleiben. Aggressiv klatschen sie das Gesicht ab, schütteln gewalttätig den Kopf, drücken den Körper zu Boden, um ihn zwischen sich hin- und herzuzerren, sich der Länge nach auf ihn zuwerfen, sogar mit den Füßen auf ihn zu steigen und ihn in einem doppelseitigen Koitus zu missbrauchen. Die begehrlich umhegte Beute gerät dabei in halsbrecherische Stellungen, in denen sie von hinten abgestützt wird. Die beiden Akteure werden zunehmend sichtbarer. Das Objekt wird zunehmend schlaffer. Aleesa Cohene erträgt es mit unbewegtem Gesicht. Dazu erklingt eine elektronische Musik von Tian Rotteveel. Sie setzt sanft ein und behält bis zum Schluss einen überwiegend gemäßigten Charakter bei. Es gibt gleichwohl einige expressive Spitzen, bei denen auch die Bewegung eskaliert. Die Musik ist in mehrere Passagen gegliedert. Die Bewegung folgt deren Stimmungen und steht auch in den Pausen nicht still. Nichts wiederholt sich in einem Kraftakt von einstündiger Dauer. Optisch fesselt das ungemein; emotional stellt sich eine Übermüdung ein. Es ist einfach schwer zu ertragen, wie ein Mensch zur Unperson gemacht wird, deren Existenz allein darin besteht, dass zwei andere sie besitzen wollen. Logisch müsste das mit dem Tod des maßlos geliebten Menschen enden. Er wird ausgelöscht und zerstört wie eine Puppe, die ein Kind vor lauter Liebhabenwollen kaputt macht. Einen Moment lang sieht es auch so aus, wenn Aleesa Cohene reglos am Boden liegt und ihre besessenen Peiniger sich abwenden. Aber soweit soll es denn doch nicht kommen. Das Opfer steht wieder auf. Das Haar ist zerrauft, die Kleidung durcheinander, das Gesicht unverändert unbewegt. Zum ersten Mal steht das Opfer selbstständig und frei. Es dreht sich um, macht ein paar Schritte, legt den beiden anderen die Arme um den Hals. Einträchtig gehen sie ab.
Die Reihe der Tanzperformances bei zeitraumexit wird im Herbst mit Margret Sara Gudjonsdottir und Martin Nachbar fortgesetzt.
Heike Marx