Abstand und Nähe
- Die Tanzperformance „Variations on Closer“ vonMargrét Sara Gudjónsdóttir bei Zeitraumexit in Mannheim
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Die Tanzperformance „Variations on Closer“ spielt mit demVerhältnis von Tänzerin und Publikum. Die Choreografie von Margrét Sara Gudjónsdóttir gastierte im Künstlerhaus Zeitraumexit in Mannheim. Die drei Performerinnen waren Angela Schubot, Laura Siegmund und Marie Ursin Erichsen.
Die Arbeit der jungen Choreographin, die in Reykjavík geboren wurde, in den Niederlanden studierte und in Berlin lebt, wurde bereits an für Performancekunst etablierten Orten wie der Kampnagelfabrik in Hamburg oder den Sophiensälen in Berlin gezeigt. Nun war sie zum ersten Mal in Süddeutschland zu sehen, bevor das Ensemble nach London weiterreist.
Der Rhythmus von Maschinenklängen erfüllt den leeren schwarzen Raum, dessen Boden mit weißem Tanzteppich ausgelegt ist. Metallisches Schnarren geht unmerklich in Kratzen und Hämmern über, wandelt sich unablässig (Musik: Peter Rehberg). Eine Tänzerin betritt barfuß den Bühnenraum. Bekleidet mit Jeans und Top wirkt sie wie in Alltagskleidung. Sie steht. Fixiert das Publikum. Leicht nach vorn gebeugt reißt sie die Augen auf. Fixiert immerwieder denselben Menschen. Bedrängend oder gar Nähe stiftend wirkt das nicht, dafür ist die Haltung der Performerin zu sehr Pose. Zufällig wirkt hier nichts. Es läuft ein Uhrwerk ab. Eines das nachgeht. Aus der Zeit gefallen wirken die minimalistischen Bewegungen, alles erscheint unentspannt und seltsam verlangsamt. Arme, Becken und Nacken sind die einzigen Körperteile, die sich fast mechanisch verschieben. Es ist, als wollte diese Verspannung auf den Zuschauer übergreifen. Fast erleichtert ist man, als die Performerin dem Publikum den Rücken zudreht und im Zeitlupentempo den Raumverlassen will. Dreimal kehrt sie zurück. Ihre Auftritte wirken endlos und eindringlich zugleich, einer erfüllten Langeweile ähnlich. Ausatmen im Publikum als der Auftritt endet.
Eine zweite Performerin hat den Bühnenraum für sich allein. Ihre Bewegungen wirken innerlicher, weicher. Auch sie ist barfuß. Mit schwarzer Hose und schwarzem Top wirkt ihr Kostüm artifizieller, obwohl auch sie alltagstauglich gekleidet ist. Auch sie fixiert ihr Publikum, hält Blickkontakt oder tanzt mit geschlossenen Augen. Auch hier ist das Publikum Teil der Aufführung. Es ist eine Art distanziertes, teilnahmsloses Interesse, das ihm entgegengebracht wird. Diese Neutralität wirkt wie ein Abstandhalter, baut eine Distanz auf, die stärker ist, als eine vierte Wand das könnte. Als Publikum sehnt man sich nach Überbrückung dieser Distanz und wird fortwährend enttäuscht, denn die Weichheit der Bewegung wird immer wieder von harten Brüchen und Innehalten gestoppt.
Die dritte Performerin löst die zweite ab. Im Bikinioberteil mit Jeansminirock tanzt sie am Boden, kommt panthergleich auf allen Vieren auf das Publikum zu, erhebt sich, lässt den Rock fallen, steht in Unterwäsche da. Die Musik wird ekstatischer. Die Tänzerin wirkt im Bühnenraum seltsam verloren. Wie viel Nacktheit möchte ich auf der Bühne sehen oder nicht sehen, fragt man sich als Zuschauer. Und wie verhalte ich mich zur Ausstellung weiblicher Nacktheit? Zum ersten Mal bricht Bewegung los, die Performerin hebt ihre Arme über den Kopf, schwingt die Hüften im Rhythmus der Musik, bevor sie von den beiden anderen aus dem Saal getragen wird, sich wehrend. Der Abend bricht mit Konventionen. Das Publikum wird auf sich selbst und die eigene Erwartung zurückgeworfen. Nachdenklich verlässt man den Raum. Auch ein wenig unbefriedigt. Da hat eine Begegnung zwischen Bühne und Publikum stattgefunden, bei der sich die Bühne sperrig gegen Vereinnahmung gewehrt hat. Nicht unspannend. Nicht reibungslos. Dieses Verpassen von gefühliger Nähe erzählt durchaus etwas, und das zu ergründen ist reizvoll.
Stefanie Schnitzler