Atem, Blicke, Bewegung, Sprache

Beim Festival „Frisch eingetroffen“ bei Zeitraumexit in Mannheim stellen sich junge internationale Performancekünstler vor

Veranstaltung

Zeitung

Die Rheinpfalz

Seit zehn Jahren zeigt das Mannheimer Künstlerhaus Zeitraumexit unter dem Titel „Frisch eingetroffen“ internationale Performancekunst abseits des Mainstream. Das zweitägige Festival präsentiert darstellende Künstler, die in ihren Ländern bereits bekannt sind und am Beginn ihrer internationalen Karriere stehen. In diesem Jahr kooperiert Zeitraumexit mit Station – Service for Contemporary Dance in Serbien.

Im asphaltierten Innenhof von Zeitraumexit stehen drei Planschbecken, in denen sich die Besucher die Füße kühlen und mit Fächern gegen die Hitze ankämpfen. Das ist bitter nötig, denn der Abend ist lang und so spannend, dass man trotz Hitze bleiben möchte.

Die Schweizerin Cosima Grand verbindet in ihrer Performance „CTRL-V“ Tanz mit Sprache und seziert beides, indem sie langsam entwickelt, wiederholt, auseinandernimmt und neu zusammensetzt. Besonders eindrücklich tut sie das mit einem Gedicht. Den Satz „dancing is dancing and talking is talking“ trägt sie zunächst sachlich analytisch vor, dekliniert und verneint so lange, bis daraus „dancing is dancing and not dancing“ wird und sie sich allmählich in Bewegung steigert und schließlich ekstatisch bei „dancing is talking and talking is dancing“ landet. Atem, Blicke, Bewegung und Sprache bilden eine Einheit, die sehr sinnlich klarmacht, dass körperlicher Ausdruck eine eigene Form des Sprechens und der Sprechrhythmus eine akkustische Form des Tanzens ist.

Die eindrückliche Rauminstallation „Strawberry Fields Forever“ des serbischen Künstlerduos Ana Dubljevic und Milan Markovic ist ein politisches Statement zur Europäischen Migrationspolitik. Ein fensterloser winziger Raum wird minimal durch ein Licht im offenste-henden Kühlschrank erhellt. Durch absolute Finsternis betritt das Publikum diesen Raum, der Enge und Unbequemlichkeit atmet. Zu erahnen sind eine Doppelmatratze und gestapelte Getränkekästen, die als Sitzgelegenheiten genutzt werden. Wellengeräusche lassen an Flüchtlingsboote denken. Das Publikum sitzt gedrängt und ungelenk im selben Boot. Wenn die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, kann man an den Wänden ein mit Kreide geschriebenen Text erkennen. Es geht um Europa und Humanität. Nach einer Weile beginnt das Künstlerduo, die Wände mit Schwämmen zu bearbeiten, bis die Schrift fast ganz erlischt. Nur die Worte „European Identity begins in Lampedusa“ bleiben stehen.

Willy Prager und Sonja Pregrad kommen ebenfalls aus Serbien und setzen sich in „Sequel for the future mit Kunstkritik auseinander. Nacheinander tanzen die beiden unterschiedliche Genres und zeigen, was sie für Missbrauch von Kunst halten. Dabei entlarven sie immer wieder Positionen, die den eitlen Darstellungsdrang des Künstlers als Selbstbefriedigung interpretieren. Schmerzlich und die Schamgrenze verletzend wird das Ende. Radikaler kann man den Umgang mit Nacktheit im Tanz schwer darstellen.
Ebenso befremdlich, wenn auch komischer ist die Parodie des Duos auf Opernattitüden. In barocke Kostüme und hoch aufgetürmte weiße Perücken verpackt, stimmen sie einen Gesang zwischen Wehklagen, Lust und Sterbearie an und steigern sich in ein wildes Crescendo. Auch das Ballett, das Tänzer auf die Zehenspitzen treibt und dort Schmerzen ertragend zum Lächeln zwingt, wird angegriffen. Was ist Kunst? Was ist ein Künstler? Dieser Frage gehen Prager und Pregrad unerbittlich 90 Minuten lang nach und entlarven vieles, was die Stadttheatertradition seit Jahrzehnten prägt. Das geht bis zur Unterscheidung von Kunst und Technik, die im Performancebereich aufgehoben ist. Das Duo verharrt da minutenlang untätig in Musicalpose und fordert die Aufmerksamkeit des Publikums ein, während ein Bühnentechniker die Requisiten beseitigt und einen künstlichen Springbrunnen anschließt.

Die in Mannheim gezeigten Produktionen sind im Oktober auch in Belgrad zu sehen

Stefanie Schnitzler