Einsichten in die "Lottokratische Republik"

Wie wäre es, wenn in einem Europa der Zukunft ein Drittel der politischen Mandate per Los entschieden und direkt an die Bevölkerung vergeben würde? Alle hätten die Chance auf ein politisches Amt. In den Parlamenten würden Berufspolitiker durch diese Abgeordnete inspiriert und geerdet. In einer „Lottokratischen Republik“, wie sich der Kandidat der gleichnamigen Partei das ideale Europa vorstellt, gäbe es keine Korruption und Elitenherrschaft, weil eben der Zufall unbestechlich ist.

Klingt alles ganz gut, findet der geneigte Zuschauer, der sich aber am Ende ganz anders entscheidet. Denn das Publikum ist es letztlich, das den Ausgang des Stückes bestimmt, es übernimmt den entscheidenden Part in „Preenacting Europe“, einer interaktiven Performance zum Thema Wahlfreiheit und Demokratie im Künstlerhaus Zeitraumexit in Mannheim.

Eigentlich ist die Aufführung der Performancegruppe Interrobang (mit Nina Tecklenburg, Till Müller-Klug, Lajos Talamonti, Elisabeth Lindig und Flavio Ribeiro) wie eine Spielshow, bei der alle sichtlich Spaß haben, mitzumachen. Basisdemokratisch können sich die Zuschauer einmischen bei den Entscheidungen, etwa ob Dachböden für Flüchtlinge ausgebaut werden dürfen oder jede Familie einen Asylbewerber über eine Flüchtlingsbörse aufnehmen soll und es Bordeaux aus Finnland oder Olivenöl aus der Lausitz geben sollte. Die abgegebenen Stimmkarten haben sprichwörtlich Gewicht, denn sie werden von der Schiedsrichterin gewogen und die Stärke des Beifalls anhand eines „Applausometers“ gemessen.

Fast wie im Leben
Von Politikverdrossenheit ist an diesem Abend nichts zu spüren. „Preenacting Europe“ ist vielleicht gerade deshalb ein Erfolg, weil es von Überzeichnungen lebt, die Absurdität eines politischen Geschehens skizziert und doch einen wahren Kern enthält. Und wenn es auch nur der ist, dass am Ende der Kandidat wiedergewählt wird, dem man kurz zuvor das Misstrauen ausgesprochen hat. Fast wie im richtigen Leben.

bh