Im Steinbruch der Kunst

FESTIVAL: Französisches Gastspiel als "Wunder der Prärie"

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Mannheimer Morgen

In diesen verwaisten Hallen beginnt die Fantasie sofort zu galoppieren. Was ließe sich hier alles im Namen der Kunst auf die Beine stellen! Ausstellungen, Aufführungen jeder Art. Das Alte Trafowerk in Mannheim-Käfertal beherbergt zurzeit Gäste des Festivals "Wunder der Prärie". Die französische Theatergruppe Radeau aus Le Mans schließt das von "Zeitraum-Exit" arrangierte Programm mit einer Deutschland-Premiere ab.

Das Ensemble dürfte sich in diesen Mauern recht heimisch fühlen, es hat nach seiner Gründung 1972 eine still gelegte Autofabrik zu einem Künstlerhaus ausgebaut. Wo vor Jahren Mannheimer Transformatoren auf Herz und Nieren geprüft wurden, steht jetzt eine Bühne mit scheinbar unendlicher Tiefe und großzügiger Breite. Die Spielfläche für das experimentelle Stück "Coda" ist anfangs etwa quadratisch. Im Laufe der unzähligen Verwandlungen und Lichtwechsel halbiert sie sich, schrumpft und wächst fast ohne Pause. Unter der Regie von Francois Tanguy schieben sieben Akteure tapezierte oder durchsichtige Wände von den Seiten ins Blickfeld der Zuschauer, so dass während einer Stunde ein Labyrinth aus Holzsäulen, Brettern und gleißenden Plastikvorhängen entsteht.
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"Coda" bedeutet in der Musiksprache soviel wie Ausklang oder Zusammenfassung. Francois Tanguy vermengt unter diesem Titel Texte unter anderem von Kafka, Hölderlin und Dante mit Splittern aus Verdi-Opern. Er macht die Rezitationen unverständlich, in dem er die Sprecher durch Geräusche und Fetzen barocker oder zeitgenössischer Kompositionen übertönt. Literatur, Musikdramen, Konzertantes und Tanzszenen über Liebe, Lust und Leidenschaft verwickeln sich zu einem unentwirrbaren Knäuel. Aus dem etwas zaghaften Applaus sprach neben Verwunderung sicher auch Ratlosigkeit.

Viele Deutungen bieten sich an. Da wäre zum Beispiel die Version, die das Knäuel aus Worten und Tönen als Symbol für das Material aller künstlerischen Schöpfungsakte erklärt. Denkbar wäre es auch, in dem Irrgarten der Kulissen eine Anspielung auf Bildungsnotstand und ständig reduzierte Kultur-Etats zu sehen. Aber vielleicht kommt die Lesart den Absichten des Regisseurs am nächsten, die den Festival-Beitrag als Liebeserklärung an die Bühne interpretiert, als Eloge auf diesen geheimnisvollen Ort, der Steinbruch und sakraler Raum in einem sein kann. Und der tatsächlich eines der großen "Wunder" darstellt, in welcher Prärie, in welcher Stadtlandschaft auch immer. ML