Mit Chicoreé und Goldfisch zur Bühne

„97m überm Meer“: Das Festival zeigt zum vierten Mal freie Theatermacher und Performancekünstler aus der Region

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Mannheimer Morgen

„Keine Angst, keine Angst, Rosmarie“ schallt es unisono über den Hinterhof. Die Neckarmöwen geben hier vor der Tür zum Theaterhaus in G 7 den schmissigen Startschuss für die diesjährige Ausgabe von „97m überm Meer“, das bereits zum vierten Mal die Bühnen von Künstlerhaus zeitraumexit und TiG7 für die freien Theatermacher der Region öffnet.
Mit den Seemannsparolen des Neckarstädter Shantychors im Ohr zieht man los in den elfteiligen Abend, den das Augenblick-Theater
mit einem Ausschnitt aus seiner aktuellen Produktion „Kalte Herzen 3113 – Winter.Zeit.Reise“ eröffnet – ein Ausblick in die Zukunft, der Motive von Hauff und Andersen mit futuristischen Planängsten verbindet und unter anderem den kollektiven Winterschlaf als neues Gesellschaftsmodell diskutiert. Monika-Margret Steger erzählt in ihrer humorvollen Kleinraumlesung „Was ich beim Aufräumen fand“ von den Ungereimtheiten des Alltags und den Seltsamkeiten unseres modernen Lebens. Unter Leitung von Bernhard Wadle-Rohe kommt direkt im Anschluss Wolfgang Borcherts „Der Kaffee ist undefinierbar“ als literarische Momentaufnahme auf die Bühne, bevor man sich mit Frühlingserwachen, einer Projektentwicklung von Ulrike Günther, Renelde Pierlot und Rahil Golsar, auf eine nachdenkliche Spurensuche im Arabischen Frühling begibt. Zum Abschluss der dicht getakteten ersten Hälfte der unkuratierten Werkschau taucht Tanja Wolf unter der Regie von Peter Klein im komplett dunklen Theaterraum in Dacia Marainis Erzählung „Winterschlaf“ ein und schickt den Zuschauer auf eine spannende Hörreise im tiefen Schwarz.
In den Kellergewölben des zeitraumexit zeigt die Performancegruppe Rampig zwei Rauminstallationen und szenische Ausschnitte aus ihrer geplanten Kafka-Adaption „Das Schloss“ und eröffnet den zweiten Akt des Abends hier im Jungbusch. Das Nostos Tanztheater stellt sich im Theaterraum mit einer Choreographie von Christina Liakopoyloy den „Lebensfragen“ dreier junger Menschen und Johanna Baumgärtel stellt mit ihrer Performance „Verkopft“ einen Goldfisch in die Schusslinie der Diskussion über die Grenzen der Kunst. Jonas Frey verlegt seine Tanzperformance aufs Sofa und baut aus alltäglichen Gesten und Körperhaltungen ein flinkes Bilderspiel. Die Theaterakademie Mannheim stürzt sich mit ihrer spartenübergreifenden Versuchsanordnung „Außer Kontrolle“ in eine brachial-komische Zwischenwelt des absoluten Kontrollverlusts und Drama Light improvisiert zum Abschluss des fünfstündigen Abends rund um ein Fundstück aus den Taschen des Publikums eine mehrteilige Stegreiferzählung. In diesem Fall ging es um eine Packung Chicorée.

Das sind elf unterschiedliche Blicke auf Bühnenräume und Lebensentwürfe, elf eigene Ansichten und Erzähltemperaturen, die an diesem
Abend einen überzeugenden Querschnitt der regionalen freien Theater- und Performanceszene zeichneten und viel Platz zum Austausch boten. Und mit dieser vierten (und im Übrigen komplett ausverkauften) Ausgabe dürfte sich „97m überm Meer“ als offene Plattform für darstellende Freidenker endgültig seinen festen Platz im Kulturkalender gesichert haben. Bern Mand