Räuber im Baum, Ballerinas auf dem Boden
Mannheimer Schillertage: Festival „Schwindelfrei" mit Projekten vom Theaterhaus G7, der Theaterakademie und der Galerie Zeitraum/Exit
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Von Anne Richter
‚Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt' lautet das Motto für die 15. Schillertage in Mannheim. Die freie Theaterszene nahm das ganz wörtlich und eroberte mit ihren Festivalbeiträgen neue Orte zum Theaterspielen. So verwandelte sich der Schillerplatz in einen Schiller-Spielplatz. Die Theaterakademie wanderte mit ihrem Publikum - mal mehr und mal weniger - auf Schillers Spuren durch die Neckarstadt. Und bei zeitraumexit bot René Arnold mit „Harry L. - Eine Auflösung" eine gelungene Form des Diskurstheaters zu Schillers Fragen.
Es ist 17 Uhr und die Sonne scheint. Der sechsjährige Dhruv geht mit seiner indischstämmigen Mutter wie immer um diese Zeit auf den Schillerplatz zum Spielen. Doch heute muss er sich in einer Vierergruppe zusammenfinden und durch eine Theaterkabine in eine Schillerspielwelt eintreten, die sich auf seinem Spielplatz breitgemacht hat. Das findet nicht nur er spannend.
Konstanze Schmitt alias Friedrich Schiller begrüßt die vier Spieler in enger Kabine und bietet einen Apfelschnitz zum Verzehr als Initiationsritus. So eingestimmt begeben sich die Spieler in Schillers Lebens- und Figurenwelt. 16 Stationen haben die vier Theatermacher auf dem Spielplatz aufgebaut. Neben Konstanze Schmitt agieren noch Maike Lex vom TiG7 als Wilhelm Tell, Bernhard Wadle-Rohe vom Buero für angewandten Realismus aus Ludwigshafen als Maria Stuart und Florian Loycke vom Theater Das Helmi in Berlin als Karl Mohr. Letzterer sitzt als Räuber mit seiner Gitarre im Baum und vereint zu seinen Füßen einen Chor. „Die Gedanken sind frei" ist das meistgespielte Lied. Bei Wilhelm Tell ist seine Welt aus Bergen und Seen im Sandkasten aufgebaut. Kniffelige Fragen gilt es hier für die Playmobilfiguren zu lösen. Dann darf man auch mit der Armbrust auf einen Tell-Apfel schießen. Das macht auch Dhruv Spaß, der seit diesem Nachmittag weiß, nach wem der Platz benannt ist, und dass dieser gerne Äpfel aß und roch.
„Ich Schiller 2009 - Heimat gesucht" nannte die Theaterakademie ihr Schulprojekt zu den Schillertagen. Unter der Leitung von Silvana Kraka führten fünf Darsteller ihre Zuschauer in Gruppen durch einen gut zweistündigen Stationenlauf auf Schillers Spuren. Hier war eine bunte Mischung aus Gruppenspiel und Straßentheater geboten. Als Imbiss gab es auf der Collinibrücke Schillerlocken und Wein. Szenenstudien mit Schillers Texten wechselten sich mit choreografischen Passagen zu Sinn-Form-Fragen und Szenen zur Heimatsuche von Künstlern ab. Ein netter Abendspaziergang mit Theatereinlagen und Heimatkunde war geboten.
Auf der Bühne der Theatergalerie zeitraumexit geht man sehr nett miteinander um. Im Klima der Nettigkeit stellt Regisseur René Arnold die Frage nach der Gleichförmigkeit des Lebens. Die Inszenierung „Harry L. - eine Auflösung" bietet harte und erhellende 80 Minuten lang freundliches Diskurstheater. Ein Höhepunkt im Festival „Schwindelfrei".
Auf der Tanzfläche schwebende Luftballons und tänzelnde Ballettschülerinnen. Am Flügel spielt Andrea Marie Baiocchi Ausschnitte aus Bachs „Goldberg Variationen". Susanne Plassmann als freundliche Lehrerin führt durch den Abend. Mit sanfter Berührung stellt sie die Kinder in Reihe und Glied auf. Vom Band ertönt Tchaikowskis „Nussknacker". Die Mädchen tanzen die bekannte Choreografie in Ausschnitten. Sofort ist klar, dass der Weg zur Ballerina noch weit ist. Stolz und Freude über das Erreichte bei den Tänzerinnen herrscht aber vor.
Dann erzählt Susanne Plassmann im verbindlichen Dozententonfall von Harry L. Sein recyclingfähiger Nachlass wurde in der Papiertonne gefunden, nachdem er ohne Angehörige hinterlassen zu haben, gestorben war. Die Inszenierung versucht eine Rekonstruktion seines im Gleichmaß dahin gleitenden Lebens und stellt dieses Ballettdrill und Hundedressur gegenüber. Nach den Ballettmädchen aus Ludwigshafen tritt die Hundetrainerin Marianne Wüsteney mit ihrem Mischling Radar auf. Dessen Kunststücke sind erstaunlich, aber nicht perfekt. Perfekt tanzt das Turniertanzpaar Lisa-Marie Bauer (11 Jahre) und Sascha Korn (10 Jahre). In der Gegenüberstellung dieses Theaterprojekts ergibt dies alles einen Abend, der nachdenklich macht.