Und wo steht ihr eigentlich?

Performance: „Soldaten-Ding“ am Mannheimer Zeitraumexit

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Mannheimer Morgen

"Wenn ich zwei Leben hätte, würde ich im ersten Leben in den Krieg ziehen. Im zweiten Leben nicht mehr": Das habe ein Jugendlicher bei einer Probe gesagt, sagt Gustav Schneider. "Und wo steht ihr?", adressiert er das Publikum des Performance-Projektes "Das Soldaten-Ding" im Mannheimer Künstlerhaus Zeitraumexit - und bittet Zuschauer, auf einer Linie zwischen Krieg und Frieden als Endpunkten Position zu beziehen. "Ich will meinen Feind leiden sehen", sagt einer der jugendlichen Darsteller, der den Kriegspol besetzt. Fast alle Zuschauer gruppieren sich am äußeren Friedensende; ein Mann erklärt, er komme aus einem Land, das seit fast 50 Jahren Krieg erlebe. Er habe dadurch Freunde, Verwandte, Bekannte verloren. "Deshalb bin ich für den Frieden."

Mit vielen Perspektiven
„Das Soldaten-Ding" hat Regisseur Wolfgang Sautermeister, einer der Künstlerischen Leiter von Zeitraumexit, in Kooperation mit der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule Mannheim und den Diakoniewerkstätten Rhein-Neckar erarbeitet. Das rund 45-minütige, im Austausch mit ehemaligen Soldaten und Kriegsdienstverweigerern entwickelte Stück, setzt sich mit dem Soldaten-Sein und -Werden auseinander, wirft in einer Collage aus szenischem Spiel, Videosequenzen (Silvia Szabo) und Musik-Einspielungen einen multiperspektivischen Blick auf Krieg und Pazifismus, auf Gewalt und Verweigerung derselben.

Neun 14- bis 16-jährige Schüler der Kerschensteiner-Schule, alle in Camouflage, einige tragen zusätzlich Sturmhauben, agieren in dieser eindrücklichen Performance zusam-men mit Otto Reger und Gustav Schneider vom Friedensplenum Mannheim auf der Bühne. Auch Schusswaffen werden gezückt, Zielsuch-Laser streifen durch den vernebelten Raum. "Ich bin 26, ich war schon einmal im Krieg und habe viele Terroristen getötet", sagt einer der Darsteller später. Ein anderer verkörpert einen 15-Jährigen, der hier sei, um sein Land zu retten. "Eigentlich fällt es mir schwer zu töten, aber ich muss es tun." Der aufwühlendste Moment: Eine Off-Stimme (Bastian Wurbs) liest aus Mohamedou Ould Slahis "Das Guantanamo-Tagebuch", während die Kamera-Projektion an einem scheinbar endlosen Zaun vorbeigleitet. "Ich werde nie die das Stöhnen und Schreien der armen Häftlinge vergessen, wenn sie gefoltert wurden. Ich habe mir die Ohren zugehalten, damit ich die Schreie nicht hören musste." Dann wird ein zellenartiger Kubus gedreht - in einer schwindelerregenden Bewegung, die an die unermüdliche Wiederkehr des apokalyptischen Reiters namens Krieg denken lässt.

Martin Vögele