Verwirrung der Wahrnehmung
Der Karlsruher Kunstraum Morgenstraße stellt bei Zeitraumexit in Mannheim aus
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Die vom Kunstbüro Baden-Württemberg angeregte Projektreihe „außerhalb“ wirbelt die freie Szene derzeit tüchtig durcheinander. Geld von der Kunststiftung gibt es auch dazu. Darüber freut man sich auch bei Zeitraumexit in der Mannheimer Hafenstraße. Unter dem poetischen Doppeltitel „Es gibt keinen sicheren Ort, nirgends – Touching the Void“ zeigt man dort ein Gastspiel des Karlsruher Kunstraums Morgenstraße.
Nanu, warum hat denn dieses wirr eine Ecke besetzende Bündel von Neonröhren eine nach der anderen aufgehört zu leuchten, sind die etwa kaputt? Andreas Lorenschat (1973 in Heilbronn geboren) schuf die mit englischen Texten beklebte Installation. Nachfragen lohnt sich: Ja, das ist so gewollt. Die Texte? Zitate aus dem 1953 uraufgeführten Hörspiel „Unter dem Milchwald“ von Dylan Thomas. Das hat was mit Kindheitserinnerungen des Künstlers zu tun. Vielleicht auch mit den zehn kleinen Negerlein? Richtig, genau zehn Röhren sind im Einsatz.
Sieben Künstler aus aller Welt üben sich im Zusammenspiel. Und es funktioniert. Raumbeherrschend die Malerei von Gregor Gleiwitz: zehn laufende Meter, in leichter Kurve über Eck installiert, hat der Berliner mitgebracht, wolkig in sich verfugte Farbmaterie von fast szenographischer Anmutung. Das Auge darf hin- und herspringen zwischen Raum und Fläche, gegenständlicher Anmutung und Abstraktion, irgendwo verortet zwischen Écriture automatique, informellem Drauf und barocker Freskenmalerei; hoch attraktiv zudem.
Die ungegenständlichen Bilder von Enrico Bach (1980 in Leipzig geboren) verwirren die Wahrnehmung auf andere Weise. Hinsehen kommt einem Sich-Einlassen-auf-Halluzinationen gleich. Man sieht architektonische Elemente, Schichten, Rahmenformen und Durchbrüche, Flächen, die sich überschneiden. Man ahnt unendliche Tiefenräume und lässt sich immer wieder von wechselnden perspektivischen Andeutungen überraschen: das Bild als in der Tat sehr „unsicherer Ort“.
Dazwischen sind drei Objekte von Markus Zimmermann (33), solide, farblich differenzierte Schreinerarbeiten, ein hockerartiges Gebilde, ein Gestell, etwas, das (pardon!) aussieht wie ein altertümliches Radio. Drei Arbeiten, die dem ehemaligen Bogomir-Ecker-Schüler gut anstehen und einen spannenden Dialog mit einem Leuchtkasten-Objekt des US-Koreaners Chul-Hyun Ahn führen. Es besteht aus laminiertem Holz, Spiegel und Licht, die eine meditativ besetzte Illusion von geometrisch erzeugter, unendlicher Tiefe und Weite erzeugen. Damit besetzt der 40jährige eine gut möblierte Nische ambitionierter Lichtkunst, gleichauf mit dem durch einen 3D-Effekt aufgehübschten Video des amerikanischen Experimentalfilmers Joe Merrell, das einen auf verwackelte Lichtspuren, Schriftfragmente und Farbschlieren reduzierten Gang durch eine nächtliche Stadt vorgaukelt.
In ihrer Installation aus Overhead-Projektoren mit applizierten Fenstermodulen treibt Annabel Lange, auch mit Bühnenbild befasste Karlsruherin in Berlin, die Rätsel in sich leerlaufender Wahrnehmung auf die Spitze, indem sie die natürliche Ordnung der Dinge in ein geschlossenes System ohne Wirklichkeitsbezug einsperrt. Hier ist Leon Battista Albertis Beschreibung des Bildes als Fenster in die Welt in einer eleganten Versuchsanordnung endgültig ad absurdum geführt.
Matt Calderwoods Video wirktwie ein spröder Kommentar dazu. Erst lässt uns der 36jährige Nordire auf eine leere weiße Fläche blicken, dann bohren sich zwei „Arme“ hinein, dann sieht man, wie die Fläche (die Wand der Videobox, eine leere Leinwand) von einem Traktor abtransportiert wird, das „Bild“ sozusagen aus dem Bild gefahren wird. Am Ende bleibt eine Wiesenlandschaft. So einfach ist es also, den White Cube zu demolieren? Man steht und staunt. Es gibt ihn tatsächlich nicht, den sicheren Ort in der Kunst, nirgends.
TERMIN UND FILME
Bis Sonntag, 22. Mai, in den Räumen von Zeitraumexit in der Mannheimer Hafenstraße 68. Freitags von 16 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 20 Uhr. Am Samstag, 7. Mai, um 20 Uhr ist hier bei Zeitraumexit das Programm des Forums internationaler Medienkunst zu sehen. Gezeigt werden unter dem Titel „Personal History“ die drei Preisträgerfilme des Emaf 2010, diesich mit Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen. von Sigrid Feeser