Vom Schmuddelimage emanzipiert

Performancefestival „Wunder der Prärie" von Zeitraum/Exit in Mannheim - Grenzüberschreitungen zum Thema „Reisen"

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Die Rheinpfalz

Von unserer Mitarbeiterin Heike Marx

Zeitraum/Exit bringt Bewegung in die Künste, die wir als bildende und darstellende, als Ausstellung, Theater, Konzert, Tanz zu trennen gewohnt sind. Sie wieder zusammenzuführen ist das Ziel einer internationalen Performance-Bewegung. Ihr regionales Forum, das mittlerweile auch überregional beachtet wird, ist das von der Galerie Zeitraum und dem Theater Exit geschaffene Festival „Wunder der Prärie" in Mannheim, das nach zehn Tagen mit Grenzüberschreitungen zum Thema „Reisen" zu Ende ging.

Es gibt Performer, die sich mit wunderlichen Aktionen kasteien oder stundenlang das Gleiche (nicht) tun. Von derlei Exotik waren die diesjährigen „Wunder der Prärie" meilenweit entfernt. Vom Schmuddelimage hat sich die Performance-Kunst, so scheint es, zur Edelsparte emanzipiert, die das Besondere pflegt. Wie so etwas auf der Bühne aussieht, wie es Gefühle stimuliert und irritiert, führte das Théâtre du Radeau aus Le Mans mit „Coda" vor.

Die Truppe hat einen internationalen Ruf. Seit 1982 ist Francois Tanguy ihr künstlerischer Leiter, ein Grenzgänger, der die Verschmelzung von Bild und Raum, Licht und Bewegung, Wort und Musik zum Äußersten treibt, wo sich auch die Zusammenhänge auflösen. Die sehr spezielle Produktion hatte in der riesigen Halle des einstigen Trafowerks in der Boveristraße ihren idealen Aufführungsort. Wie ein schwarzes Zelt - die Truppe tritt gewöhnlich im eigenen Zelt auf - war der Aufführungsbereich hineingebaut.
Coda ist ein Begriff aus der Kompositionslehre, und musikalisch strukturiert war die Abfolge von Szenen im Wechsel von Adagio und Fortissimo. Mit Raffinement sind Texte und Musiken ineinander geblendet, verschieben sich bespannte Wände und leere Rahmen im Spiel des Lichts zu immer neuen und geheimnisvollen Räumen, in einem Kontinuum fortwährender Veränderung. Zwischen den Personen entspinnt sich keine Handlung, sie gruppieren sich zu Figuren und lösen diese wieder auf, in heftiger oder zerdehnter Bewegung. Die Männer tragen oben Abendgarderobe mit Zylinder, unten weite Röcke, die im Bühnenwind wehen. Am seltsamsten ist die Funktion der Texte von Kafka, Artaud, Hölderlin, Dante und anderen. Soweit sie nicht von der Musik überdeckt und daher unverständlich werden, sind sie in elegischem Ton wider den Inhalt deklamiert, als zögerlich dünnes Männerstimmchen, schicksalhaft dunkle und leise zirpende Frauenstimme.

Kleiner im Format waren zwei Theater-Beiträge in den Räumen von Zeitraum/Exit. Das Erzähltheater der deutschstämmigen Südafrikanerin Yvette Coetzee lebt aus dem eigenwilligen Text und dem jugendlich sprudelnden Redefluss der Interpretin. Sie erzählt von Tom, der mit der U-Bahn durch Berlin fährt, aber statt der Frau, die er sucht, nur vielen so merkwürdigen wie alltäglichen Leuten begegnet. Sie erzählt als ein Theaterstück, was wegen seiner Struktur niemals ein Theaterstück sein kann, mit Projektionen von Häuserfronten und zerbrochenen Puppen, die nicht recht in die Geschichte hineinkommen.

Die Schweizer Gruppe FarADayCage hat eine stinknormale Amerikatour fröhlich und locker zu einer grotesken Odysseus-Travestie aufgepeppt.

Im bildkünstlerischen Bereich ging fast alles um Fotografie. Während die Ausstellungen im Kunstraum eher brav waren, setzten die Jungs Akzente, die sich unters Volk mischten. Volker Gerling trug seine „Daumenkinographie" in Form kleiner Blöcke auf seinem Bauchladen durch die Stadt. Wenn man die Bilder mit dem Daumen abschnurren lässt, sieht man eine Bewegung, die mal minimalistisch, mal effektvoll ausfällt. Bei Nachtaufnahmen sieht man den Mond um den Berliner Dom wandern oder in Wohnblocks die Lichter an- und ausgehen. Gerling reist auf Schusters Rappen durchs Land, bringt sich mit seinem Daumenkino durch und vergrößert es durch interessante Leute, die er kennen lernt. Was Eric Henzler im Basement des Hauptbahnhofs betrieb, war kein einfaches Ablichten williger Passanten vor Urlaubskulisse. Sie konnten sich inszenieren, mitten hinein in eine Herde wilder Bisons oder in die Fluten vor der Freiheitsstatue. Der Computer macht"s möglich.