/ Stephanienufer / Intervention + Hörstück / deutsch / ab 14 /
In der Residenz „Die Fährte“ befragen die Theatermacherin ASJA, die Performerin Ricarda Walter und der zeitgenössische Komponist und Gitarrist Sidney Corbett die nicht-sprechenden Agenten Deutscher Schäferhund und Rheinmetall zu den Themen Biografie, Grenze, Territorium und Verteidigung. Aus den multiperspektivischen Antworten entstehen in inhaltlicher und örtlicher Bezugnahme zum Rhein und seinen Seitenarmen in Mannheim musikalische und performative Interventionen. Eine Version wird im Festival „Wunder der Prärie“ von zeitraumexit am 3.10.2025, am Tag der Deutschen Einheit, zu sehen sein.
Rhein und Rheinmetall
Der Rhein steht für die Künstler*innen zum einen als natürliche Grenze sinnbildlich für die ehemalige Innerdeutsche Grenze und zum anderen - als Namensgeber der Rheinmetall - als Metall- und Waffenproduzent, bzw. Lieferstraße für Ressourcen, die auch zu Kriegszwecken benutzt wird. Der Konzern profitiert vom Krieg. Und derzeit massiv durch den Angriffskrieg in der Ukraine: Im Juni 2024 erhielt Rheinmetall beispielsweise den bis dato größten Auftrag seiner Unternehmensgeschichte; eine Bestellung von Artilleriemunition im Wert von 8,5 Milliarden Euro durch die Bundeswehr. Im Kontext dieses Zustands schreibt der Komponist Sidney Corbett eine Komposition für eine E-Gitarre, die in den Interventionen entwickelt und live in den Strom zurückgegeben wird.
Sidney:
„Wir sind umgeben von einer ungeheuerlichen Gewalt auf allen Ebenen. Dabei spielt die Verwandlung von Erz in Metall und von dort zu Waffen eine große, ja, vielleicht entscheidende Rolle. Ein Werk für mein Instrument, die E-Gitarre, ist für mich Ausdrucksmittel, um diesen Zustand zu reflektieren.“
Deutsche Schäferhunde und Territorium
Neben der Rheinmetall dient der Deutsche Schäferhund als Fallbeispiel für Deutsche Militär- und Waffenkultur. Im Deutschen Schäferhund steckt deutsche Kriegsgeschichte. Zunächst wurde er gezüchtet als Gebrauchshund im Kontext des Ersten Weltkriegs und daraufhin von Adolf Hitler als „wolfsähnlicher“, treuer Weggefährte vereinnahmt und benutzt. Nach der Teilung schreibt sich auch dieses deutsche Kapitel in die Geschichte des Hundes ein. Es entstehen zwei unterschiedliche Linien. Ein westdeutscher Familienhund, bei dem mit niedriger Hüfte Fokus auf Optik und Prestige gelegt wurde. Hüftleiden und Operationen sind die Folge der Qualzucht. Bei der ostdeutschen Linie wurde Wert auf Gesundheit und Charakter gelegt. Dieser Vertreter wurde zum Grenzschutz im Todesstreifen eingesetzt und war Staatseigentum. Heute wird vermehrt mit der ostdeutschen Linie gezüchtet und Deutsche Schäferhunde leben mit uns als Gefährten und Familienmitglieder. Wo bewegt sich dieser Deutsche Schäferhund im Spannungsfeld zwischen Waffe, Gefährte und Graben?
Ricarda ist 1987 in Westdeutschland in einem engen Familienbund geboren. Im ländlichen Aichach im Süden Bayerns spielte die Grenze und Wiedervereinigung im Alltag kaum eine Rolle. Asja, die nach der Wende in Mannheim in einem Ostdeutschen Elternhaus aufwächst hat einen ganz persönlichen Bezug zur ehemaligen DDR und zu deren Aufarbeitung und Darstellung. Sidney Corbett wurde 1960 in Chicago geboren und kam in den 80ern nach Deutschland. In der Residenz wollen wir uns künstlerisch mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Was bedeutet die ehemalige Innerdeutsche Grenze für uns? Wo taucht sie auf und welches Territorium steckt sie ab? Was gilt es in Deutschland in der aktuellen politischen Lage im Kontext von Populismus und rechter Politik zu verteidigen und entgegenzusetzen? Was bedeutet es, Waffe UND Gefährt*in zu sein?
Asja:
„Als Mannheimer Nachwendekind eines Ostdeutschen Elternhauses liegt mir das Thema der Aufarbeitung der DDR auch persönlich am Herzen. Zu Zeiten eines Erstarkens von rechten Positionen im politischen Diskurs verstehe ich den Schäferhund als ein lebendes Sinnbild für die Ausbeutung und Verdinglichung von Lebewesen zu Kriegszwecken.
Ricarda:
In meinen nahen Begleitern ist Geschichte. Dem Hund ist es egal, aber in seiner kulturellen DNA steckt genauso wie in der meinigen der 1. und der 2. Weltkrieg, die Innerdeutsche Grenze und die Wiedervereinigung. Der Mensch entscheidet, wie er den Hund in seinem Territorium einsetzt. Wer entscheidet, wie man mich in meinem Territorium einsetzt?
Von + Mit: ASJA + Ricarda Walter. Komposition + E-Gitarre: Sidney Corbett. Outside-Eye: Charlotte Arens. Vielen Dank an die Gesprächsgefährt*innen.
Die Performance ist gefördert vom Kulturamt Mannheim und basiert auf einer Residenz gefördert vom NFT-Netzwerk mit Mitteln des Fonds Darstellende Künste.
Die Intervention wurde durch die Residenzen vom Netzwerk Freier Theater (NFT), dem Fonds Darstellende Künste und der Stadt Mannheim ermöglicht.
ASJA ist Theatermacherin und beschäftigt sich auf, neben und hinter der Bühne mit spielerischen Formaten, die Fiktion und Alltag verschwimmen lassen. Sie studierte Arabistik in Marburg und Kairo, sowie Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Seit 2020 lebt und arbeitet sie in Frankfurt am Main als Performancekünstlerin, Dramaturgin und Mediatorin.
Ricarda Walter ist freischaffende Künstlerin und Performerin aus Mannheim und arbeitet an der Schnittstelle Tanz, Theater, Video und Installation. Im Fokus der meist orts-spezifischen Arbeiten liegt die Dekonstruktion und Überschreibung von gesellschaftlichen Prozessen und kollektiven Handeln. Sie studierte in Heidelberg Ethnologie und Philosophie mit Schwerpunkt auf visueller und Medienanthropologie. Seit 2010 arbeitet sie mit verschiedenen Künstler*innen und Organisationen vor allem im Raum Mannheim und Heidelberg.
Sidney Corbett ist 1960 in Chicago geboren, studierte Musik und Philosophie an der University of California, San Diego, der Yale University, wo er 1989 promovierte, sowie an der Hamburger Musikhochschule bei György Ligeti. Seit 1985 ist Corbett vorwiegend in Europa tätig. Seit 2006 ist Corbett Professor für Komposition an der Staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Bereich des Musiktheaters.
Fotos: ASJA + Ricarda Walter
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